BXVI Katechesen IV
BXVI Katechesen IV






 

Papst Benedikt XVI.:

Katechesen zum Paulusjahr

Teil IV.  (12. Nov. - 3. Dez.  2008)

 

„Das Licht des Auferstandenen überstrahlt das Dunkel des Bösen"

Kathechese während der Generalaudienz am 3. Dezember 2008

Liebe Brüder und Schwestern!

In der heutigen Katechese beschäftigen wir uns mit der Beziehung zwischen Adam und Christus, die der heilige Paulus in dem bekannten Abschnitt des Briefs an die Römer (5,12-21) umreißt, in dem er der Kirche die wesentlichen Linien der Erbsündenlehre übergibt.

In Wirklichkeit hatte Paulus bereits im ersten Brief an die Korinther den Vergleich zwischen dem Urvater und Christus eingeführt, als er vom Glauben an die Auferstehung sprach: „Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden... Adam, der Erste Mensch, wurde ein irdisches Lebewesen. Der Letzte Adam wurde lebendig machender Geist" (1 Kor 15,22.45).

Mit dem Abschnitt Röm 5,12-21 wird der Vergleich zwischen Christus und Adam deutlicher und erhellender: Paulus geht die Heilsgeschichte von Adam bis zum Gesetz und von diesem bis zu Christus durch. Im Mittelpunkt des Szenariums steht also nicht so sehr Adam mit den Folgen der Sünde für die Menschheit als vielmehr Jesus Christus und die Gnade, die durch ihn in Fülle über der Menschheit ausgegossen worden ist.

Die Wiederholung des Wortpaares „erst recht" in Bezug auf Christus hebt hervor, dass das in ihm empfangene Geschenk bei weitem die Sünde Adams und die daraus sich für die Menschheit ergebenden Folgen übertrifft, so dass Paulus zu dem Schluss gelangen kann: „Wo jedoch die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden" (Röm 5,20). Somit hebt der Vergleich, den Paulus zwischen Adam und Christus absteckt, die Unterlegenheit des ersten Menschen gegenüber der Vorherrschaft des zweiten ins Licht.

Andererseits erwähnt Paulus die Sünde des Adams gerade, um das unermessliche Geschenk der Gnade in Christus sichtbar werden zu lassen. Man könnte sagen: Wäre es nicht darum gegangen, die Zentralität der Gnade zu beweisen, hätte er sich nicht damit aufgehalten, die Sünde zu behandeln, die „durch einen einzigen Menschen (...) in die Welt kam, und durch die Sünde der Tod" (Röm 5,12). Wenn daher im Glauben der Kirche das Bewusstsein des Dogmas der Erbsünde herangereift ist, so geschah dies, weil es untrennbar mit einem anderen Dogma verbunden ist, jenem des Heils und der Freiheit in Christus. Die Folge dieses Umstands besteht darin, dass wir nie die Sünde Adams und der Menschheit in einer vom Heilskontext abgetrennten Weise behandeln sollten, das heißt ohne sie auch im Horizont der Rechtfertigung in Christus zu begreifen.

Als Menschen von heute aber müssen wir uns fragen: Was ist diese Erbsünde? Was lehrt der heilige Paulus, was lehrt die Kirche? Kann diese Lehre heute noch aufrecht erhalten werden? Viele denken, dass es im Licht der Evolution keinen Platz mehr für die Lehre einer ersten Sünde gäbe, die sich dann in der ganzen Geschichte der Menschheit ausbreitet. Und folglich verlöre auch die Frage der Erlösung und des Erlösers ihre Grundlage. Gibt es also die Erbsünde oder nicht? Um eine Antwort zu geben, müssen wir zwei Aspekte der Lehre von der Erbsünde unterscheiden. Es liegt ein empirischer Aspekt vor, das heißt eine konkrete, sichtbare, ja, ich würde sagen: Eine von allen berührbare Wirklichkeit; und des weiteren ein dem Geheimnis anheim gestellter Aspekt, der das ontologische Fundament dieser Tatsache betrifft.

Die empirische Gegebenheit besteht darin, dass es in unserem Sein einen Widerspruch gibt. Einerseits weiß ein jeder Mensche, dass er das Gute tun soll, und in seinem Innersten will er dies auch tun. Gleichzeitig aber spürt er auch den anderen Antrieb, das Gegenteil zu tun, dem Weg des Egoismus, der Gewalt zu folgen, nur das zu tun, was ihm gefällt - dies auch in dem Wissen, dass er so gegen das Gute, gegen Gott und gegen den Nächsten handelt. Der heilige Paulus hat in seinem Brief an die Römer diesen Widerspruch in unserem Sein so zum Ausdruck gebracht: „Ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt; das Wollen ist bei mir vorhanden, aber ich vermag das Gute nicht zu verwirklichen. Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will" (7,18-19). Dieser unserem Sein innewohnende Widerspruch ist keine Theorie. Jeder von uns erfährt ihn jeden Tag. Wenn wir uns umschauen, sehen wir die Vorherrschaft dieses zweiten Willens stets um uns herum. Es genügt, an die täglichen Nachrichten über Ungerechtigkeiten, Gewalt, Lüge und Unzucht zu denken. Wir sehen es jeden Tag, es ist eine Tatsache.

Als Folge dieser Macht des Bösen über unsere Seelen hat sich in der Geschichte ein schmutziger Fluss entwickelt, der die Geographie der menschlichen Geschichte vergiftet. Der große französische Denker Blaise Pascal hat von einer „zweiten Natur" gesprochen, die sich über unsere ursprüngliche und gute Natur legt. Diese „zweite Natur" lässt dass Böse als das für den Menschen Normale erscheinen. So hat auch die übliche Ausdrucksweise „das ist menschlich" eine zweifache Bedeutung. „Das ist menschlich" kann besagen: Dieser Mensch ist gut, er handelt wirklich so, wie ein Mensch handeln sollte. „Das ist menschlich" kann aber auch das Falsche bedeuten: Das Böse ist normal, es ist menschlich. Das Böse scheint zu einer zweiten Natur geworden zu sein. Dieser Widerspruch im menschlichen Sein, in unserer Geschichte, muss die Sehnsucht nach Erlösung hervorrufen, und er tut dies auch heute. Und die Sehnsucht danach, dass die Welt sich ändert, und die Verheißung, dass eine Welt der Gerechtigkeit, des Friedens, des Guten geschaffen wird, ist in der Tat überall gegeben: In der Politik sprechen, zum Beispiel, alle von dieser Notwendigkeit, die Welt zu ändern, eine gerechtere Welt zu schaffen. Und gerade dies ist Ausdruck des Wunsches, dass es eine Befreiung von der Widersprüchlichkeit gibt, deren wir in uns selbst gewahr werden.

Die Tatsache der Macht des Bösen im Herzen des Menschen und in der menschlichen Geschichte kann nicht geleugnet werden. Die Frage ist: Wie kann dieses Böse erklärt werden? In der Geschichte des Denkens gibt es, abgesehen vom christlichen Glauben, ein vornehmliches Erklärungsmodell mit verschiedenen Varianten. Dieses Modell besagt: Das Sein selbst ist widersprüchlich, es trägt in sich sowohl das Gute als auch das Böse. In der Antike schloss diese Idee die Meinung ein, dass es zwei gleichursprüngliche Prinzipien gebe: Ein gutes und ein böses Prinzip. Ein derartiger Dualismus wäre unüberwindbar; die beiden Prinzipien stehen auf derselben Ebene, daher wird es immer, seit dem Ursprung des Seins, diesen Widerspruch geben. Die Widersprüchlichkeit in unserem Sein würde also sozusagen nur die Gegensätzlichkeit der beiden göttlichen Prinzipien widerspiegeln. In der evolutionistischen und atheistischen Auffassung der Welt kehrt dieselbe Sichtweise auf neue Weise zurück. Auch wenn innerhalb einer derartigen Konzeption die Sicht des Seins monistisch ist, wird angenommen, dass das Sein als solches von seinem Anfang an in sich das Böse und das Gute trage. Das Sein selbst sei nicht einfach gut, sondern offen für das Gute und das Böse. Das Böse sei wie das Gute ursprünglich. Und die menschliche Geschichte entfalte nur das schon in der ganzen vorhergehenden Evolution gegebene Modell. Das, was die Christen Erbsünde nennen, sei in Wirklichkeit nur die gemischte Verfassung des Seins, eine Mischung aus Gutem und Bösem, das laut dieser Theorie zum Gewebe des Seins selbst gehöre. Es ist dies eine von Grund auf verzweifelte Sicht: Wenn es sich so verhält, dann ist das Böse unbesiegbar. Am Schluss zählt nur das eigene Interesse. Und jeder Fortschritt müsste notwendigerweise mit einem Fluss des Bösen bezahlt werden, und wer dem Fortschritt dienen wollte, müsste akzeptieren, diesen Preis zu bezahlen. Die Politik ist im Grunde nach diesen Prämissen ausgerichtet und wir sehen die Auswirkungen. Dieses moderne Denken kann schließlich nur Traurigkeit und Zynismus schaffen.

Und so fragen wir uns erneut: Was sagt der Glaube, den der heilige Paulus bezeugt? Als erstes bestätigt er die Tatsache des Ringens zwischen den beiden Naturen, er bestätigt die Tatsache dieses Bösen, dessen Schatten über der ganzen Schöpfung wiegt. Wir haben das siebte Kapitel des Briefs an die Römer gehört, wir könnten das achte hinzufügen: Das Böse existiert schlechthin. Als Erklärung und im Gegensatz zu den Dualismen und Monismen, die wir kurz in Betracht gezogen und für trostlos befunden haben, sagt uns der Glaube: Es gibt zwei Geheimnisse des Lichts und ein Geheimnis der Nacht, das jedoch von den Geheimnissen des Lichts umhüllt ist. Das erste Geheimnis des Lichtes ist dieses: Der Glaube sagt uns, dass es keine zwei Prinzipien gibt - ein gutes und ein schlechtes - sondern dass es nur ein einziges Prinzip gibt - den Schöpfergott - und dieses Prinzip ist gut, nur gut, ohne Schatten des Bösen. Deshalb ist auch das Sein keine Mischung aus Gutem und Bösem. Das Sein als solches ist gut. Deshalb ist es gut zu sein, deshalb ist es gut zu leben. Das ist die frohe Botschaft der Glaubens: Es gibt nur einen guten Quell, den Schöpfer. Und deshalb ist es gut zu leben, deshalb ist es eine gute Sache, ein Mann, eine Frau zu sein, deshalb ist das Leben gut. Dann folgt ein Geheimnis der Finsternis, der Nacht. Das Böse stammt nicht aus der Quelle des Seins selbst, es ist nicht gleichursprünglich. Das Böse stammt aus einer geschaffenen Freiheit, aus einer missbrauchten Freiheit.

Wie ist das möglich gewesen? Wie ist es dazu gekommen? Das bleibt im Dunklen. Das Böse ist nicht logisch. Nur Gott und das Gute sind logisch, nur sie sind Licht. Das Böse bleibt geheimnisvoll. Es wurde in großen Bildern dargestellt, wie dies im 3. Kapitel des Buches Genesis geschieht, mit jener Vision der beiden Bäume, der Schlange, des Menschen, der sündigt. Ein großes Bild, das uns eine Ahnung verleiht, aber nicht erklären kann, was in sich unlogisch ist. Wir können erahnen, nicht erklären. Ebenso wenig können wir es wie eine Tatsache unter anderen erzählen, da es eine tiefere Wirklichkeit ist. Es bleibt ein Geheimnis der Finsternis, der Nacht.

Sofort jedoch wird ein Geheimnis des Lichts hinzugefügt: Das Böse entstammt einer untergeordneten Quelle. Gott ist stärker mit seinem Licht. Daher ist das Geschöpf, der Mensch heilbar. Die dualistischen Sichtweisen - selbst der Monismus des Evolutionismus - können nicht sagen, dass der Mensch heilbar ist. Wenn aber das Böse nur einer untergeordneten Quelle entstammt, so bleibt es wahr, dass der Mensch heilbar ist. Und das Buch der Weisheit sagt: „Sanabiles sunt generationes orbis terrarum" („Heilbar sind die Generationen des Weltkreises" - Weish 1,14 Vulgata). Und schließlich als letzter Punkt: Der Mensch ist nicht nur heilbar, er ist de facto geheilt. Gott hat die Heilung eingeführt. Er hat persönlich die Geschichte betreten. Der ständigen Quelle des Bösen hat er einen Quell reiner Güte entgegengesetzt. Der gekreuzigte und auferstandene Christus, der neue Adam stellt dem schmutzigen Fluss des Bösen einen Fluss des Lichts entgegen. Dieser Fluss ist in der Geschichte gegenwärtig: Wir sehen die Heiligen, die großen Heiligen, aber auch die demütigen Heiligen, die einfachen Gläubigen. Wir sehen, dass der Fluss des Lichts, der von Christus kommt, gegenwärtig und stark ist.


Brüder und Schwestern, es ist die Zeit des Advents. In der Sprache der Kirche hat das Wort Advent zwei Bedeutungen: Gegenwart und Erwartung. Gegenwart: das Licht ist gegenwärtig, Christus ist der neue Adam, er ist mit uns und mitten unter uns. Das Licht glänzt schon, und wir müssen die Augen des Herzens öffnen, um das Licht zu sehen und uns in den Fluss des Lichts hineinzubegeben. Vor allem müssen wir dankbar sein dafür, dass Gott selbst in die Geschichte als neuer Quell des Guten eingetreten ist. Advent aber besagt auch Erwartung. Die finstere Nacht des Bösen ist noch stark. Und deshalb beten wir im Advent mit dem alten Volk Gottes: „Rorate caeli desuper" („Tauet, ihr Himmel, von oben"). Und wir beten innständig: Komm Jesus, komm. Gib Kraft dem Licht und dem Guten. Komm dorthin, wo die Lüge, die Unkenntnis Gottes, die Gewalt, die Ungerechtigkeit herrschen. Komm, Herr Jesus, gibt dem Guten in der Welt Kraft und hilf uns, Träger der Lichts, Friedensstifter, Zeugen der Wahrheit zu sein. Komm Herr Jesus!

[deutsche Zusammenfassung:]

Liebe Brüder und Schwestern!
Das Thema der heutigen Katechese ist die Lehre des Apostels Paulus über das Spannungsverhältnis zwischen der Erbsünde und der Freiheit, die uns durch die Gnade geschenkt ist. Diese beiden Pole veranschaulicht Paulus schon im ersten Korintherbrief und dann besonders im Römerbrief durch die Gegenüberstellung von Adam und Christus. So wie die Sünde des ersten Menschen Konsequenzen für die gesamte Menschheit hat, so - und noch viel mehr - wird den vielen durch die Gnadentat des einen Menschen, Jesus Christus, die Gabe der Gerechtigkeit zuteil. Die Sünde hat für Paulus - wie auch für die jüdischen Schriften seiner Zeit - zwei Dimensionen. Einerseits ist die Erbsünde eine Gegebenheit, der wir ausgeliefert sind: „Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt" (Röm 5,12); andererseits trägt jeder Verantwortung für seine eigenen Sünden: „Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren" (Röm 3,23). Die Befreiung von der Sünde Adams und von unseren eigenen Sünden durch Christus schenkt uns die Freiheit, ein neues Leben im Dienst des Herrn zu führen und uns auch unserer Mitmenschen und der ganzen Schöpfung anzunehmen, die bis zum heutigen Tag unter der Last der Sünde seufzen und darauf warten, in die Herrlichkeit der Kinder Gottes einzutreten (vgl. Röm 8,20-22).

[Die deutschsprachigen Pilger grüßte der Heilige Vater mit den folgenden Worten:]

Einen frohen Gruß richte ich an die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Besonders heiße ich heute die Pilgergruppe von Schönstatt willkommen. Das Paulusjahr und der eben begonnene Advent laden uns ein, dass wir Christus unsere Herzen öffnen. Er ist der einzige Weg der Befreiung, der uns vor der tödlichen Gefahr der Sünde bewahrt. Der Herr schenke euch den Geist der Hoffnung und der Liebe und begleite euch mit seinem Segen!"

 

 

„Was wäre ein Glaube, der nicht in der Liebe Gestalt annimmt?"„

Kathechese während der Generalaudienz am 26. November 2008

 "Liebe Brüder und Schwestern!

In der Katechese vom vergangenen Mittwoch habe ich über die Frage gesprochen, wie der Mensch vor Gott gerecht wird. Dem heiligen Paulus folgend haben wir gesehen, dass der Mensch nicht imstande sich, sich durch sein eigenes Handeln „gerecht" zu machen, sondern dass er vor Gott nur deshalb wahrhaft „gerecht" werden kann, weil Gott ihm die „Gerechtigkeit" zukommen lässt - indem er ihn mit Christus, seinem Sohn, vereinigt. Und diese Einheit erlangt der Mensch durch den Glauben. In diesem Sinn sagt uns der heilige Paulus: Nicht unsere Werke machen uns „gerecht", sondern der Glaube. Bei diesem Glauben handelt es sich aber nicht um einen bestimmten Gedanken, eine bestimmte Meinung oder Vorstellung. Dieser Glaube ist Gemeinschaft mit Christus, die uns der Herr schenkt und deshalb Leben, Gleichförmigkeit mit ihm wird. Oder, mit anderen Worten: Wenn der Glaube wahr und wirklich ist, wird er zur Liebe, wird er zur Nächstenliebe und bringt sich in der Nächstenliebe zum Ausdruck. Ein Glaube ohne Liebe, ohne diese Frucht, wäre kein wahrer Glaube; er wäre ein toter Glaube.

Wir haben also in der letzten Katechese zwei Ebenen entdeckt: die Ebene der Irrelevanz unseres Handelns, unserer Werke, um das Heil zu erlangen, und die Ebene der „Rechtfertigung" durch den Glauben, der die Frucht des Geistes hervorbringt. Die Verwirrung zwischen diesen beiden Ebenen hat im Lauf der Jahrhunderte in der Christenheit nicht wenige Missverständnisse hervorgerufen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass der heilige Paulus im Brief an die Galater einerseits den Akzent radikal auf die Unentgeltlichkeit der Rechtfertigung nicht durch unsere Werke setzt, dass er aber gleichzeitig die Beziehung zwischen Glaube und Liebe, zwischen Glaube und Werken hervorhebt: „Denn in Christus Jesus kommt es nicht darauf an, beschnitten oder unbeschnitten zu sein, sondern darauf, den Glauben zu haben, der in der Liebe wirksam ist" (Gal 5,6). Folglich gibt es einerseits die „Werke des Fleisches" - „Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, Götzendienst..." (Gal 5,19-21): alles Werke, die dem Glauben entgegengesetzt sind - und andererseits das Wirken des Heiligen Geistes, durch das das christliche Leben genährt wird, indem es „Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung" weckt (Gal 5,22): Dies sind die Früchte des Heiligen Geistes, die aus dem Glauben aufkeimen.

Am Anfang dieser Aufstellung von Tugenden wird die „agape" zitiert - die Liebe -, und abschließend die „Selbstbeherrschung". In der Tat gießt der Heilige Geist, der die Liebe des Vaters und des Sohnes ist, seine erste Gabe - die „agape" - unseren Herzen ein (vgl. Röm 5,5). Und damit sie in ihrer Fülle Gestalt annehmen kann, erfordert die „agape" - die Liebe - die Selbstbeherrschung. Von der Liebe des Vaters und des Sohnes, die uns erreicht und unser Dasein zutiefst verwandelt, habe ich auch in meiner ersten Enzyklika gesprochen: Deus caritas est. Die Gläubigen wissen, dass in der gegenseitigen Liebe die Liebe Gottes und die Liebe Christi durch den Heiligen Geist Fleisch annimmt. Doch kehren wir zum Brief an die Galater zurück. Hier sagt der heilige Paulus: Wenn einer des anderen Last trägt, wird das Gebot der Liebe erfüllt (vgl. Gal 6,2). Da wir durch das Geschenk des Glaubens an Christus gerechtfertigt sind, sind wir dazu berufen, in der Liebe Christi zum Nächsten zu leben, denn dies ist der Maßstab, nach dem wir am Ende unseres Daseins gerichtet werden. In Wirklichkeit wiederholt Paulus nichts anderes als das, was Jesus selbst gesagt hatte und was uns im Evangelium des vergangenen Sonntags mit dem Gleichnis vom Weltgericht vorgelegt wurde. Im ersten Brief an die Korinther verbreitet sich Paulus in einem berühmten Loblied auf die Liebe. Es ist dies das so genannte Hohelied der Liebe: „Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke... Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil..." (1 Kor 13,1.4-5). Die christliche Liebe ist überaus anspruchsvoll, da sie aus der vollkommenen Liebe Christi zu uns hervorquillt: jener Liebe, die nach uns verlangt, uns aufnimmt, umarmt und stützt bis es weh tut, denn sie zwingt jeden, nicht mehr im eigenen Egoismus verschlossen für sich selbst zu leben, sondern „für den, der für uns starb und auferweckt wurde" (vgl. 2 Kor 5,15). Die Liebe Christi lässt uns in ihm jenes neue Geschöpf sein (vgl. 2 Kor 5,17), das Teil seines mystischen Leibes wird, der die Kirche ist.

So gesehen steht die Vorrangstellung der Rechtfertigung ohne die Werke - sie ist der Hauptgegenstand der Verkündigung des Paulus - nicht im Widerspruch zum Glauben, der in der Liebe wirkt. Im Gegenteil: Sie fordert vielmehr, dass unser Glaube in einem Leben nach dem Heiligen Geist Gestalt annimmt. Oft hat man eine unbegründete Gegenüberstellung der Theologie des heiligen Paulus und jener des heiligen Jakobus beobachten können, der in seinem Brief schreibt: „Denn wie der Körper ohne den Geist tot ist, so ist auch der Glaube tot ohne Werke" (2,26). Während Paulus vor allem für den Hinweis Sorge trägt, dass der Glaube an Christus notwendig und ausreichend ist, setzt Jakobus in Wirklichkeit das Hauptaugenmerk auf die Folgebeziehung von Glaube und Werken (vgl. Jak 2,2-4). Somit bezeugt der Glaube sowohl für den heiligen Paulus als auch für Jakobus das unentgeltliche Geschenk der Rechtfertigung in Christus. Das in Christus empfangene Heil muss „mit Furcht und Zittern" bewahrt und bezeugt werden. Denn Gott ist es, der in uns das Wollen und das Vollbringen nach seinem Plan der Liebe bewirkt. „Tut alles ohne Murren und Bedenken... Haltet fest am Wort des Lebens", wird der heilige Paulus den Christen von Philippi sagen (vgl. Phil 2,12-14.16).

Oft sind wir in Versuchung, in dieselben Missverständnisse hineinzutappen, wie sie für die Gemeinde von Korinth charakteristisch waren: Jene Christen dachten, dass ihnen, da sie unentgeltlich in Christus durch den Glauben gerechtfertigt waren, „alles erlaubt" wäre. Und sie dachten - und oft hat es den Anschein, als dächten das auch die Christen von heute -, dass es erlaubt sei, Spaltungen in der Kirche hervorzurufen, im Leib Christi, und Eucharistie zu feiern, ohne sich der bedürftigsten Brüder und Schwestern anzunehmen und nach höheren Charismen zu streben; ohne sich darüber klar zu sein, dass der oder die eine das Glied des anderen ist und so weiter. Katastrophal sind die Folgen eines Glaubens, der nicht in der Liebe Fleisch annimmt, denn er wird zu Willkür und Subjektivismus, der für uns und für unsere Brüder und Schwestern am schädlichsten ist. Im Gegensatz dazu müssen wir uns in der Nachfolge des heiligen Paulus in neuer Weise der Tatsache bewusst werden, dass - gerade weil wir in Christus gerechtfertigt sind - wir nicht mehr uns selbst gehören, sondern Tempel des Heiligen Geistes geworden und daher berufen sind, Gott in unserem Leib mit unserem ganzen Dasein zu verherrlichen (vgl. 1 Kor 6,19). Es wäre ein Ausverkauf des unschätzbaren Wertes der Rechtfertigung, würden wir nicht Christus, durch dessen Blut wir um einen teuren Preis losgekauft worden sind, mit unserem Leib verherrlichen. In Wirklichkeit ist genau dieser unser „vernünftiger" und gleichzeitig „geistlicher" Gottesdienst, weshalb uns Paulus ermahnt, „uns selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt" (Röm 12,1). Was würde aus einer Liturgie werden, die einzig und allein auf den Herrn ausgerichtet ist, ohne gleichzeitig Dienst an den Brüdern und Schwestern zu sein? Was wäre ein Glaube, der nicht in der Liebe Gestalt annimmt? Und der Apostel konfrontiert seine Gemeinden oft mit dem Weltgericht, bei dem „wir alle... vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden (müssen), damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat" (2 Kor 5,10; vgl. auch Röm 2,16). Dieser Gedanke an das Gericht muss uns in unserem Alltag erleuchten.

Wenn die Ethik, die Paulus den Gläubigen vorschlägt, nicht in einen bloßen Moralismus entartet und sich für uns als höchst aktuell erweist, so ist das deshalb der Fall, weil sie immer von der persönlichen und gemeinschaftlichen Beziehung zu Christus ausgeht, um sich in einem Leben nach dem Heiligen Geist zu bewahrheiten. Das ist das Wesentliche: Die christliche Ethik entsteht nicht aus einem System von Geboten, sondern sie ist die Folge unserer Freundschaft mit Christus. Diese Freundschaft beeinflusst das Leben: Wenn sie wahr ist, so nimmt sie in der Liebe zum Nächsten Fleisch an und verwirklicht sich in ihr. Aus diesem Grund bleibt jeglicher ethische Niedergang nicht auf die individuelle Sphäre beschränkt, sondern ist gleichzeitig Abwertung des persönlichen und gemeinschaftlichen Glaubens: Der Verfall geht aus dieser Abwertung hervor und hat einen bestimmenden Einfluss auf sie. Lassen wir uns also von der Versöhnung erreichen, die Gott uns in Christus geschenkt hat, von der „wahnsinnigen" Liebe Gottes zu uns: Nichts und niemand wird uns je von seiner Liebe scheiden können (vgl. Röm 8,39). In dieser Gewissheit leben wir. Diese Gewissheit schenkt uns die Kraft, den Glauben konkret zu leben, der in der Liebe wirkt.

[deutsche Zusammenfassung:]

Liebe Brüder und Schwestern!

In der letzten Mittwochskatechese habe ich begonnen, die Lehre des heiligen Paulus über die Rechtfertigung vorzustellen. Heute wollen wir darüber nachdenken, was das Gerechtsein durch den Glauben und das Wirken des Heiligen Geistes in unserem Leben konkret bedeuten und welche Folgen daraus erwachsen. Die theologische Diskussion hat dabei mitunter zwei Ebenen miteinander vermengt: einerseits sind die eigenen Werke nicht relevant, um das Heil zu erlangen, andererseits bringt die Rechtfertigung in uns aber Haltungen als Früchte des Heiligen Geistes hervor. Zu diesen Früchten zählen Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung (vgl. Gal 5, 22f). Den ersten Platz nimmt hier die Liebe ein, die durch den Heiligen Geist in unsere Herzen ausgegossen ist (vgl. Röm 5, 5). Mit dem Geschenk des Glaubens an Christus sind wir auch berufen, in der Liebe Christi für den Nächsten zu leben und danach zu handeln. An diesem Maßstab wird unser Leben am Ende beurteilt werden. Es kann keinen Widerspruch zwischen Glauben und Werken geben: Der Glaube ist in der Liebe wirksam. Er bewährt sich in den Werken und bezeugt so das freie Geschenk der Rechtfertigung in Christus. Zudem gehören wir durch die Rechtfertigung in Christus nicht mehr uns selbst, sondern wir sind zum Tempel des Heiligen Geistes geworden und sollen Gott mit unserem ganzen Dasein die Ehre geben (vgl. 1 Kor 6, 19) in einem Leben, das dem Geist entspricht. Nichts und niemand kann uns von der Liebe Christi scheiden (vgl. Röm 8, 39), die uns in die Lage versetzt, wahre Früchte des Geistes hervorzubringen."

 

„Gerecht werden wir durch unsere Gemeinschaft mit Christus!“

Kathechese während der Generalaudienz am 19. November 2008

 

"Liebe Brüder und Schwestern!

Entlang des Wegs, dem wir unter der Führung des heiligen Paulus folgen, wollen wir heute bei einem Thema innehalten, das im Mittelpunkt der Auseinadersetzungen des Jahrhunderts der Reformation steht: die Frage der Rechtfertigung. Wie wird ein Mensch in den Augen Gottes gerecht?

Als Paulus dem Auferstandenen auf dem Weg nach Damaskus begegnete, war er ein abgeklärter Mann: Untadelig in der Gerechtigkeit, wie sie das Gesetz vorschreibt (vgl. Phil 3,6), übertraf er viele seiner Altergenosse in der Beachtung der mosaischen Vorschriften und setzte sich mit dem größten Eifer für die Überlieferungen der Väter ein (vgl. Gal 1,14). Die Erleuchtung von Damaskus veränderte sein Leben radikal: Er begann, alle Verdienste, die er in seiner tadellosen religiösen Karriere erworben hatte, angesichts der Größe der Erkenntnis Jesu Christi als „Unrat“ anzusehen (vgl. Phil 3,8). Der Brief an die Philipper bietet uns ein berührendes Zeugnis vom Übergang des Paulus von der Gerechtigkeit, die ihren Grund im Gesetz hat und durch die Beachtung der vorgeschriebenen Werke erworben wird, zu einer Gerechtigkeit, die im Glauben an Christus gründet: Er hatte verstanden, dass das, was ihm bisher als ein Gewinn erschien, in Wahrheit vor Gott ein Verlust war. Und daher hatte er beschlossen, sein ganzes Leben auf Jesus Christus zu setzen (vgl. Phil 3,7). Der im Acker verborgene Schatz und die kostbare Perle, in deren Kauf alles andere zu investieren ist, waren nicht mehr die Werke des Gesetzes, sondern Jesus Christus, sein Herr.

Die Beziehung zwischen Paulus und dem Auferstandenen wurde derart tief, dass sie ihn dazu führte zu behaupten, dass Christus nicht mehr nur sein Leben, sondern seine Lebensart war – was soweit ging, dass – um ihn zu erreichen – sogar das Sterben ein Gewinn wurde (vgl. Phil 1,21). Er verachtete nicht das Leben, sondern hatte verstanden, dass für ihn das Leben keinen anderen Zweck hatte; und daher hegte er keinen anderen Wunsch, als Christus zu erreichen wie bei einem Wettlauf – um immer bei ihm zu bleiben: Der Auferstandene war zum Anfang und zum Ziel seines Daseins geworden, der Grund und das Ziel seines Laufens. Nur die Sorge um die Reifung im Glauben derer, denen er das Evangelium gebracht hatte, und jene für alle von ihm gegründeten Kirchen (vgl. 2 Kor 11,28) veranlassten ihn dazu, den Lauf zu seinem einzigen Herrn zu verlangsamen, um auf die Jünger zu warten, damit sie zusammen mit ihm dem Ziel entgegeneilen könnten. Wenn er sich auch bei der vorangegangenen Beachtung des Gesetzes unter einem moralischen Gesichtspunkt nichts vorzuwerfen hatte, so zog er es vor, nachdem er Christus erreicht hatte, nicht über sich selbst zu urteilen (vgl. 1 Kor 4,3-4), sondern er beschränkte sich darauf, sich vorzunehmen zu laufen, um den zu ergreifen, von dem er ergriffen worden war (Phil 3,12).

Gerade durch diese persönlich erfahrene Beziehung mit Jesus Christus stellt Paulus nun den unüberwindbaren Gegensatz von zwei alternativen Wegen, die zur Gerechtigkeit führen, in den Mittelpunkt seines Evangeliums. Der eine baut auf den Werken des Gesetzes auf, und der andere ist in der Gnade des Glaubens an Christus gegründet. Die Alternative zwischen der Gerechtigkeit durch die Werke des Gesetzes und jener durch den Glauben an Christus wird so zu einem der vorherrschenden Themen, die seine Briefe durchziehen: „Wir sind zwar von Geburt Juden und nicht Sünder wie die Heiden. Weil wir aber erkannt haben, dass der Mensch nicht durch Werke des Gesetzes gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir dazu gekommen, an Christus Jesus zu glauben, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird niemand gerecht“ (Gal 2,15-16). Und den Christen in Rom gegenüber betont er: „Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus“ (Röm 3,23-24). Und er fügt hinzu: „Denn wir sind der Überzeugung, dass der Mensch gerecht wird durch Glauben, unabhängig von Werken des Gesetzes“ (ebd. 28). Luther übersetzte diese Stelle mit: „allein durch den Glauben”. Ich werde auf diesen Punkt am Ende der Katechese zurückkommen. Zuerst müssen wir klären, was dieses „Gesetz“ ist, von dem wir befreit worden sind, und was jene „Werke des Gesetzes“ sind, die nicht gerecht machen. Bereits in der Gemeinde von Korinth gab es dazu eine Ansicht, die dann systematisch in der Geschichte wiederkehren sollte. Diese Ansicht bestand darin zu meinen, dass es sich dabei um das Moralgesetz handle und die christliche Freiheit somit in der Befreiung von der Ethik bestünde. So war in Korinth das Wort im Umlauf „πÜντα μοι Ýξεστιν – alles ist mir erlaubt“. Selbstverständlich ist diese Interpretation falsch: Die christliche Freiheit ist kein Libertinismus; die Befreiung, von der der heilige Paulus spricht, ist keine Befreiung vom Tun des Guten.

Was aber bedeutet also das Gesetz, von dem wir befreit sind und das nicht rettet? Für den heiligen Paulus wie für alle seine Zeitgenossen meinte das Wort „Gesetz“ die Torah in ihrer Gesamtheit, das heißt die fünf Bücher des Moses. Die Torah schloss in der pharisäischen Interpretation, die Paulus studiert und sich angeeignet hatte, einen Komplex von Verhaltensweisen ein, die vom ethischen Kern bis zur Beachtung der Riten- und Kultregeln gingen und im Wesentlichen die Identität des gerechten Menschen bestimmten. Dazu gehören insbesondere die Beschneidung, die Speisevorschriften und im Allgemeine die rituelle Reinheit sowie die Vorschriften zur Einhaltung des Sabbats usw. Diese Verhaltensweisen treten oft auch in den Auseinandersetzungen zwischen Jesus und seinen Zeitgenossen hervor. Die Beachtung all dieser Regeln, die eine soziale, kulturelle und religiöse Identität zum Ausdruck bringen, war ab dem dritten Jahrhundert vor Christus zur Zeit der hellenistischen Kultur besonders wichtig geworden. Diese Kultur, die zur universalen Kultur jener Zeit geworden und eine dem Anschein nach rationale Kultur war, eine dem Anschein nach tolerante polytheistische Kultur, erzeugte einen starken Druck hin zur kulturellen Gleichförmigkeit und bedrohte so die Identität Israels, das politisch dazu gezwungen war, in diese allgemeine Identität der hellenistischen Kultur einzutreten. Damit war der darauffolgende Verlust seiner Identität und somit auch der des kostbaren Erbes des Glaubens der Väter verbunden: des Glaubens an den einen Gott und an die Verheißungen Gottes.

Gegen diesen kulturellen Druck, der nicht nur die israelitische Identität, sondern auch den Glauben an den einen Gott und seine Verheißungen bedrohte, war es nötig, eine „Wand der Unterscheidung“ zu schaffen, einen Verteidigungs- und Schutzschild für das kostbare Erbe des Glaubens. Diese Wand bestand in der Beachtung der jüdischen Regeln und in den Vorschriften. Paulus, der diese Beachtung der Regeln gerade in ihrer Funktion zur Verteidigung des Geschenkes Gottes, des Erbes des Glaubens an einen einzigen Gott erlernt hatte, hatte diese Identität von der Freiheit der Christen bedroht gesehen. Deshalb verfolgte er sie. Im Augenblick seiner Begegnung mit dem Auferstandenen verstand er, dass sich mit der Auferstehung Christi die Situation radikal geändert hatte. Mit Christus wurde der Gott Israels – der einzige wahre Gott – der Gott aller Völker. Die Wand zwischen Israel und den Heiden, so sagt er im Brief an die Epheser, war nicht mehr notwendig: Christus schützt uns vor dem Polytheismus und all seinen Spielarten. Christus eint uns mit und in dem einen Gott. Christus gewährleistet unsere wahre Identität in der Verschiedenheit der Kulturen. Die Wand ist nicht mehr notwendig, unsere gemeinsame Identität in der Verschiedenheit der Kulturen ist Christus, und er ist es auch, der uns gerecht macht. Gerecht sein will einfach heißen, mit und in Christus sein. Und das ist ausreichend. Die Beachtung anderer Regeln ist nicht mehr notwendig. Daher ist der Ausdruck Luthers „sola fide“ dann wahr, wenn man den Glauben nicht der Nächstenliebe, der Liebe entgegenstellt. Glauben heißt auf Christus blicken, sich Christus anvertrauen, sich an Christus heften, Christus und seinem Leben gleichförmig werden. Und die Form – das Leben Christi – ist die Liebe. Glauben also heißt, Christus gleichförmig zu werden und in seine Liebe einzutreten. Deshalb spricht der heilige Paulus im Brief an die Galater, in dem er vor allem seine Lehre von der Rechtfertigung entfaltet hat, vom Glauben, der durch die Liebe wirkt (vgl. Gal 5,14).

Paulus weiß, dass in der zweifachen Liebe zu Gott und zum Nächsten das ganze Gesetz gegeben und erfüllt ist. So ist das ganze Gesetz in der Gemeinschaft mit Christus, im Glauben, der die Liebe schafft, verwirklicht. Wir werden dadurch gerecht, dass wir in die Gemeinschaft mit Christus eintreten, der die Liebe ist. Dasselbe werden wir im Evangelium des kommenden Sonntags sehen, dem Hochfest Christkönig. Es handelt sich um das Evangelium vom Richter, dessen einziges Kriterium die Liebe ist. Was er fragt, ist nur dies: Hast du mich besucht, als ich krank war? Als ich im Gefängnis war? Hast du mir zu essen gegeben, als ich hungrig war? Hast du mir Kleidung gegeben, als ich nackt war? Und so wird über die Gerechtigkeit in der Liebe befunden. So können wir am Schluss dieses Evangeliums gleichsam sagen: nur Liebe, nur Nächstenliebe. Zwischen diesem Evangelium und dem heiligen Paulus jedoch besteht kein Widerspruch. Es handelt sich um dieselbe Sicht, nach der die Gemeinschaft mit Christus, der Glaube an Christus Liebe schafft. Und die Liebe ist Verwirklichung der Gemeinschaft mit Christus. So sind wir gerecht, wenn wir mit ihm vereint sind, und auf keine andere Art.

Abschließend können wir nur den Herrn bitten, dass er uns helfen möge zu glauben, wirklich zu glauben. So wird das Glauben zu Leben, zu Einheit mit Christus, zu Verwandlung unseres Lebens. Und wenn wir so von seiner Liebe verwandelt sind, von der Liebe zu Gott und zum Nächsten, können wir in den Augen Gottes wahrhaft gerecht sein.

[deutsche Zusammenfassung:]

Liebe Brüder und Schwestern!

In den Briefen des heiligen Paulus nimmt die Lehre von der Rechtfertigung eine zentrale Stellung ein. Rechtfertigung heißt für den Apostel die Gerechtigkeit aus dem Glauben: Gott macht diejenigen gerecht, die an Jesus Christus glauben. Paulus hat beim Damaskusereignis begriffen, dass gegenüber der Erkenntnis Christi alles, was ihm vorher als gesetzestreuem Juden wichtig war, ein Verlust, ja „Unrat“ ist. Christus wurde für ihn zum Leben schlechthin. Diese persönliche Bindung an den auferstandenen Herrn bringt Paulus in einen unüberbrückbaren Gegensatz zu jeder Form einer selbst geschaffenen Gerechtigkeit. „Der Mensch wird nicht durch Werke des Gesetzes gerecht, sondern durch den Glauben an Jesus Christus“ (Gal 2, 16), der vom Kreuz das neue Leben durch den Geist schenkt. Das Kreuz Christi ist und bleibt die unerschöpfliche Quelle der Rechtfertigung. Diese ist ein ungeschuldeter Akt Gottes und findet im Geschenk der Versöhnung des Menschen mit Gott ihren höchsten Ausdruck. Die Werke des Gesetzes und alles menschliche Tun können der Rechtfertigung durch den Glauben nichts hinzufügen; andernfalls „wäre Christus vergeblich gestorben“ (Gal 2, 21). Das Gesetz ist nicht aufgehoben; es hat in Christus sein Ziel erreicht und im Liebesgebot seine Erfüllung gefunden. In der Mitte der Verkündigung des Paulus steht allein Christus, auf Ihm baut unser ganzer Glaube auf und nur durch seine Gnade werden wir Glieder seines Leibes, der Kirche.

[Die deutschsprachigen Pilger grüßte der Heilige Vater mit den folgenden Worten:]

Mit Freude grüße ich alle Pilger und Besucher deutscher Sprache bei dieser Generalaudienz. Unter ihnen heiße ich heute besonders die Schönstätter Marienschwestern sowie die Landfrauen aus Bayern und die Gruppe der Marien-Realschule Kaufbeuren willkommen. Jesus Christus allein ist der einzige Retter. Er schenkt uns Menschen das Heil. Wie der Apostel Paulus wollen wir danach streben, Christus zu ergreifen und Ihn als den Erlöser der Welt vor den Menschen zu bezeugen. Der Herr sei mit euch auf allen euren Wegen!"

 

"Gott hat uns die Aufgabe übertragen, in dieser Welt auf seine Art zu leben“

Kathechese während der Generalaudienz am 12. November 2008


Liebe Brüder und Schwestern!

Das Thema der Auferstehung, mit dem wir uns letzte Woche auseinandergesetzt haben, eröffnet uns eine neue Perspektive, jene der Wiederkehr des Herrn, und deshalb führt es uns dazu, über die Beziehung zwischen der gegenwärtigen Zeit, Zeit der Kirche und des Reiches Christi, und der Zukunft (eschaton), die uns erwartet, nachzudenken, wenn Christus seine Herrschaft dem Vater übergeben wird (vgl. 1 Kor 15,24). Jede christliche Rede über die letzten Dinge, die „Eschatologie“ genannt wird, geht immer vom Ereignis der Auferstehung aus: In diesem Ereignis haben die letzen Dinge schon begonnen und sind in einem gewissen Sinn schon gegenwärtig.

Paulus hat wahrscheinlich im Jahr 52 den ersten seiner Briefe geschrieben, den ersten Brief an die Thessalonicher, in dem er von dieser Wiederkehr Jesu spricht, die „parousia – Kommen“ genannt wird, die neue und endgültige und offenbare Gegenwart (vgl. 4,13-18). An die Thessalonicher, die ihre Zweifel und Probleme haben, schreibt der Apostel so: „Wenn Jesus – und das ist unser Glaube – gestorben und auferstanden ist, dann wird Gott durch Jesus auch die Verstorbenen zusammen mit ihm zur Herrlichkeit führen“ (4,14). Und er fährt fort: „Zuerst werden die in Christus Verstorbenen auferstehen; dann werden wir, die Lebenden, die noch übrig sind, zugleich mit ihnen auf den Wolken in die Luft entrückt, dem Herrn entgegen. Dann werden wir immer beim Herrn sein“ (4,16-17). Paulus beschreibt die „parousia“ Christi besonders lebhaft und in symbolischen Bildern, die aber eine einfache und tiefe Botschaft vermitteln: Am Ende werden wir immer mit dem Herrn sein. Dies ist jenseits der Bilder die wesentliche Botschaft: Unsere Zukunft ist „Mitsein mit dem Herrn“; als Gläubige sind wir in unserem Leben schon mit dem Herrn; unsere Zukunft, das ewige Leben, hat schon begonnen.

Im zweiten Brief an die Thessalonicher ändert Paulus die Perspektive: Er spricht von negativen Ereignissen, die jenem abschließenden Endereignis werden vorangehen müssen. Man darf sich nicht so schnell aus der Fassung bringen lassen, sagt er, als stehe der Tag des Herrn nach einer zeitlichen Berechnung wirklich bevor: „Brüder, wir schreiben euch über die Ankunft Jesu Christi, unseres Herrn, und unsere Vereinigung mit ihm und bitten euch: Lasst euch nicht so schnell aus der Fassung bringen und in Schrecken jagen, wenn in einem prophetischen Wort oder einer Rede oder in einem Brief, der angeblich von uns stammt, behauptet wird, der Tag des Herrn sei schon da. Lasst euch durch niemand und auf keine Weise täuschen!“ (2,1-3). Der weitere Text kündigt an, dass vor der Wiederkehr des Herrn der Abfall (die Apostasie) kommen wird und ein nicht näher erklärter „Mensch der Gesetzwidrigkeit“, der „Sohn des Verderbens“ (2,3) erscheinen müssen wird, den die Tradition dann den Antichristen nennt. Die Absicht aber dieses Briefes des heiligen Paulus ist vor allem praktischer Natur. Er schreibt: „Denn als wir bei euch waren, haben wir euch die Regel eingeprägt: Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. Wir hören aber, dass einige von euch ein unordentliches Leben führen und alles Mögliche treiben, nur nicht arbeiten. Wir ermahnen sie und gebieten ihnen im Namen Jesu Christi, des Herrn, in Ruhe ihrer Arbeit nachzugehen und ihr selbst verdientes Brot zu essen“ (3,10-12). Mit anderen Worten: Die Erwartung der „parousia“ Jesu dispensiert nicht vom Engagement in dieser Welt, sondern schafft im Gegenteil Verantwortung vor dem göttlichen Richter hinsichtlich unseres Handelns in dieser Welt. Wir werden dasselbe am kommenden Sonntag im Evangelium von den Talenten sehen, wo Jesus uns sagt, dass er allen Talente anvertraut hat und dass der Richter Rechenschaft von jedem verlangen wird, indem er sie fragt: „Habt ihr Früchte erbracht?“ Die Erwartung der Wiederkehr schließt also Verantwortung für diese Welt ein.

Dasselbe und dieselbe Verbindung zwischen „parousia“ – Wiederkehr des Richters/ Heilands – und unserem Einsatz in unserem Leben tritt in einem weiteren Kontext und unter neuen Aspekten im Brief an die Philipper hervor. Paulus ist im Gefängnis und wartet auf das Urteil, das seinen Tod zur Folge haben könnte. In dieser Situation denkt er an sein künftiges Mitsein mit dem Herrn, aber er denkt auch an die Gemeinde von Philippi, die ihren Vater, das heißt Paulus, braucht, und er schreibt: „Denn für mich ist Christus das Leben und Sterben Gewinn. Wenn ich aber weiterleben soll, bedeutet das für mich fruchtbare Arbeit. Was soll ich wählen? Ich weiß es nicht. Es zieht mich nach beiden Seiten: Ich sehne mich danach, aufzubrechen und bei Christus zu sein - um wie viel besser wäre das! Aber euretwegen ist es notwendiger, dass ich am Leben bleibe. Im Vertrauen darauf weiß ich, dass ich bleiben und bei euch allen ausharren werde, um euch im Glauben zu fördern und zu erfreuen, damit ihr euch in Christus Jesus umso mehr meiner rühmen könnt, wenn ich wieder zu euch komme“ (1,21-26).

Paulus hat keine Angst vor dem Tod, im Gegenteil, er bedeutet nämlich das vollständige Mitsein mit Christus. Paulus aber hat auch Anteil an den Gefühlen Christi, der nicht für sich, sondern für uns gelebt hat. Für die anderen zu leben wird sein Lebensprogramm, und daher zeigt er seine vollkommene Bereitschaft gegenüber dem Willen Gottes, gegenüber dem, was Gott entscheiden wird. Er ist vor allem auch in der Zukunft bereit, auf dieser Erde für die anderen zu leben, für Christus zu leben, für dessen lebendige Gegenwart und so für die Erneuerung der Welt zu leben. Wir sehen, dass dieses sein Mitsein mit Christus eine große innere Freiheit schafft: Freiheit angesichts des drohenden Todes, aber auch Freiheit angesichts aller Aufgaben und Leiden des Lebens. Er ist einfach bereit für Gott und wirklich frei.

Und gehen wir jetzt, nachdem wir die verschiedenen Aspekte der Erwartung der „parousia“ Christi untersucht haben, zur Frage über: Worin bestehen die grundlegenden Haltungen des Christen hinsichtlich der letzten Dinge – des Todes, des Endes der Welt? Die erste Haltung besteht in der Gewissheit, dass Jesus auferstanden ist, dass er mit dem Vater ist und gerade so für immer mit uns. Und keiner ist stärker als Christus, da er mit dem Vater ist, da er mit uns ist. Wir sind daher sicher, befreit von Angst. Dies war eine wesentliche Wirkung der christlichen Verkündigung. Die Angst vor den Geistern, vor den Gottheiten, war in der ganzen antiken Welt verbreitet. Und auch heute treffen die Missionare zusammen mit vielen guten Elementen der Naturreligionen die Angst vor den Geistern an, vor den unheilvollen Mächten, die uns bedrohen. Christus lebt, er hat den Tod und all diese Mächte besiegt. In dieser Gewissheit, in dieser Freiheit, in dieser Freude leben wir. Das ist der erste Aspekt unseres Lebens hinsichtlich der Zukunft.

Zum Zweiten: die Gewissheit, dass Christus mit mir ist. Und so wie in Christus die künftige Welt schon begonnen hat, gibt dies auch Gewissheit der Hoffnung. Die Zukunft ist keine Finsternis, in der keiner eine Richtung findet. Das ist nicht so. Ohne Christus ist auch heute die Zukunft für die Welt finster; es gibt große Angst vor der Zukunft. Der Christ weiß, dass das Licht Christi stärker ist, und daher lebt er in keiner vagen Hoffnung, sondern in einer Hoffnung, die Gewissheit und Mut verleiht, um der Zukunft entgegenzutreten.

Schließlich die dritte Haltung: Der Richter, der wiederkommen wird – er ist Richter und Heiland zugleich –, hat uns die Aufgabe übertragen, in dieser Welt auf seine Art zu leben. Er hat uns seine Talente übergeben. Deshalb ist dies unsere dritte Haltung: Verantwortung für die Welt, für die Brüder vor Christus und gleichzeitig auch Gewissheit seiner Barmherzigkeit. Beides ist wichtig. Wir leben nicht so, als seien das Gute und das Böse dasselbe, da Gott nur barmherzig sein kann. Dies wäre ein Blendwerk. In Wirklichkeit leben wir in einer großen Verantwortung. Wir haben die Talente, wir haben den Auftrag, dafür zu arbeiten, dass diese Welt sich Christus öffnet und erneuert wird. Trotz dieser Arbeit und obwohl wir in unserer Verantwortung wissen, dass Gott wahrer Richter ist, sind wir auch dessen sicher, dass dieser Richter gut ist, wir kennen sein Antlitz, das Antlitz des auferstandenen Christus, des für uns gekreuzigten Christus. Daher dürfen wir seiner Güte sicher sein und mit großem Mut voranschreiten.

Ein weiteres Element der paulinischen Lehre zur Eschatologie ist jenes der Universalität der Berufung zum Glauben, die Juden und Heiden vereint, als Zeichen und Vorwegnahme der künftigen Wirklichkeit, wodurch wir sagen können, dass wir schon mit Jesus Christus im Himmel sind, um aber den künftigen Jahrhunderten den Reichtum seiner Gnade zu zeigen (vgl. Eph 2,6f.): Das Nachher wird ein Vorher, um den Zustand der beginnenden Verwirklichung deutlich zu machen, in dem wir leben. Das macht die Leiden des gegenwärtigen Augenblicks erträglich, die aber auch nicht mit der künftigen Herrlichkeit vergleichbar sind (vgl. Röm 8,18). Man geht im Glauben voran und nicht als Schauende, und wenn es auch vorzuziehen wäre, aus dem Leib auszuwandern und daheim beim Herrn zu sein, ist das, was schließlich zählt – sei es, dass man im Leib wohnt, oder aus ihm abwandert –, dass man ihm wohlgefällig ist (vgl. 2 Kor 5,7-9).

Zum Schluss ein letzter Punkt, der uns vielleicht ein wenig schwierig erscheint. Am Ende seines ersten Briefs an die Korinther wiederholt der heilige Paulus ein Gebet und legt es auch den Korinthern in den Mund, das in den ersten christlichen Gemeinden Palästinas entstanden war: Maranà, thà!, was wörtlich heißt: „Unser Herr, komm!“ (16,22). Es war dies das Gebet der ersten Christen, und auch das letzte Buch des Neuen Testaments, die Offenbarung des Johannes, schließt mit diesem Gebet: „Komm, Herr Jesus!“ Können auch wir so beten? Mir scheint, dass es für uns heute, in unserem Leben, in unserer Welt schwierig ist, aufrichtig darum zu beten, dass diese Welt vergehe, dass das Neue Jerusalem komme, dass das Jüngste Gericht und der Richter komme, Christus. Ich denke, dass, auch wenn wir aus vielen Gründen nicht aufrichtig so zu beten wagen, wir dennoch in einer rechten und richtigen Weise zusammen mit den ersten Christen sagen können: „Komm, Herr Jesus!“ Gewiss, wir wollen nicht, dass jetzt das Ende der Welt kommt. Andererseits aber wollen wir auch, dass diese ungerechte Welt ein Ende findet. Auch wir wollen, dass die Welt grundlegend geändert wird, dass die Zivilisation der Liebe anbricht, dass eine Welt der Gerechtigkeit, des Friedens kommt, ohne Gewalt, ohne Hunger. All das wollen wir. Und wie könnte es ohne die Gegenwart Christi dazu kommen? Ohne die Gegenwart Christi wird nie eine wirklich gerechte und erneuerte Welt kommen. Und wenn auch auf andere Weise können und müssen auch wir ganz und in Tiefe, mit großer Dringlichkeit und in den Umständen unserer Zeit sagen: Komm, Herr! Komm auf deine Weise, in den Weisen, die du kennst. Komm dorthin, wo Ungerechtigkeit und Gewalt herrschen. Komm in den Flüchtlingslagern, im Darfur, in Nord-Kivu, in vielen Teilen der Welt. Komm dorthin, wo die Drogen herrschen. Komm auch zu jenen Reichen, die dich vergessen haben, die nur für sich selbst leben. Komm dorthin, wo du unbekannt bist. Komm auf deine Weise, und erneuere die Welt von heute. Komm auch in unsere Herzen. Komm, und erneuere unser Leben! Komm in unser Herz, damit wir selbst Licht Gottes werden können, deine Gegenwart. In diesem Sinne beten wir mit dem heiligen Paulus: „Maranà, thà – Unser Herr, komm!“ Und wir beten darum, dass Christus heute in unserer Welt wirklich gegenwärtig sei und sie erneuere.

[deutsche Zusammenfassung:]

Liebe Brüder und Schwestern!

In der Katechesenreihe über die Lehre des Apostels Paulus haben wir in den vergangenen Wochen die Themen der Menschwerdung, des Todes und der Auferstehung Christi behandelt. Heute folgt ein weiterer Schritt, denn mit Paulus erwarten wir die Wiederkunft des Herrn und das ewige Leben. Die Paulusbriefe spiegeln diesbezüglich die verschiedenen Haltungen unter den ersten Christen wieder: Für manche stand die Parusie, das Kommen Christi in Herrlichkeit, unmittelbar bevor, andere waren überzeugt, dass dazu zunächst eine Reihe von tragischen Ereignissen auftreten musste. Durch diese unterschiedlichen Interpretationen wollen wir uns aber nicht zu kalendarischen Voraussagen verleiten lassen, die am Wesentlichen, das heißt, an Christus und seinem Heilswerk in uns, vorbeigehen. Vielmehr sollen wir erkennen, dass wir in einer „Zwischenzeit“ leben, in der die durch das Kreuz und die Auferstehung Christi bewirkte Erlösung bereits erfolgt ist, aber unser neues Leben in Christus erst zur Vollkommenheit gelangen muss. Das verleiht der Existenz der Christen eine Spannung auf die Zukunft, auf die Ewigkeit hin. Unser Leben geht nicht ins Leere. Das Ziel vor Augen, strecken wir uns vielmehr voll Hoffnung nach dem Siegespreis aus, den Gott uns in Jesus Christus schenkt (vgl. Phil 3,14).

[Die deutschsprachigen Pilger grüßte der Heilige Vater mit den folgenden Worten:]


Einen frohen Gruß richte ich an die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Besonders begrüße ich das Domkapitel und die Dechantenkonferenz der Diözese Augsburg in Begleitung von Bischof Dr. Walter Mixa sowie die Mädchenrealschule St. Ursula aus Donauwörth. Christus, dessen Kommen wir erwarten, stärke in uns die Hoffnung auf das ewige Leben, die all unserem irdischen Tun und Streben eine neue, entscheidende Perspektive verleiht. Der Herr segne und behüte euch und eure Lieben!

 

[ZENIT-Übersetzung des italienischen Originals; © Copyright 2008 – Libreria Editrice Vaticana]

 

 





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