Interview
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Paulus von Tarsus - Vater des christlichen Europas 

 

Interview mit Michael Hesemann, Autor des Buches "Paulus von Tarsus" und Initiator dieser website

 

 

Herr Hesemann, was fasziniert Sie am heiligen Paulus – als Gläubiger und als Historiker?

 

 

Paulus von Tarsus ist nicht weniger als der Vater des christlichen Europas, also unserer Zivilisation. Nur durch ihn ist aus der ursprünglich rein jüdischen Jesus-Bewegung eine Weltreligion geworden. Er wagte den Brückenschlag hin zur römisch-griechischen Kultur und war damit erfolgreich, weil er selbst als Jude aus der berühmten Universitätsstadt Tarsus in beiden Welten heimisch war. Wie ein Einzelner mit begrenzten Mitteln all dies zustande brachte, ist für den Historiker an sich schon faszinierend. Für den gläubigen Christen ist es ein klarer Hinweis auf die Existenz einer göttlichen Vorsehung. Jesus selbst hat ihn sich als Völkerapostel erwählt, gerade weil er für die Aufgabe alle notwendigen Voraussetzungen besaß!

 

 

Paulus ist selbst unter bekennenden Christen und Theologen nicht unumstritten. Manche stoßen sich an seinen Aussagen zur Rolle der Frau, andere werfen ihm gar vor, die reine Lehre Christi verfälscht zu haben. Sie schreiben in Ihrem Buch, man müsse in die Welt des Paulus eintauchen, um ihn zu verstehen. Wie meinen Sie das?

 

 

Man darf Paulus nicht nach den Kriterien des 21. Jahrhunderts beurteilen, man muss ihn aus seiner Zeit heraus verstehen lernen! Für uns mag die eine oder andere Äußerung problematisch, ja reaktionär klingen, für die Menschen seiner Zeit war sie oft genug geradezu revolutionär.

 

Nehmen wir seine Einstellung zu Frauen. Moderne Feministinnen stempeln ihn als „Frauenfeind“ ab, weil er die Frau in der Kirche schweigen ließ und verlangte, dass sich eine Frau ihrem Mann unterzuordnen hatte. Für einen Juden des 1. Jahrhunderts war beides eine Selbstverständlichkeit; die erste Forderung entsprach der jüdischen Synagogenordnung, die zweite war direkt aus der Torah abgeleitet. Hätte Paulus etwas anderes gelehrt, er wäre noch heftiger angegriffen worden. Aber er handelte ganz anders! Sein erster Täufling auf europäischem Boden, in Philippi, war eine Frau, nämlich die Purpurhändlerin Lydia. Überhaupt scheinen „Powerfrauen“ es ihm angetan zu haben. In Kenchreä setzte er „unsere Schwester Phöbe“ (Röm, 16,1-2) als Gemeindeleiterin ein und schickte sie sogar mit dem Römerbrief im Handgepäck als seine „Botschafterin“ in die Hauptstadt. Die „Leute der Chloe“ – wohl die Angestellten einer weiteren wohlhabenden Geschäftsfrau – stellten während seiner Zeit in Ephesus den Kontakt nach Korinth her. Und wenn von Priska und Aquila die Rede ist, wird die Frau stets an erster Stelle genannt, weil sie offenbar die Hausgemeinde leitete.

 

Aber nichts ist schwieriger, als ein Vorurteil durch Fakten zu widerlegen!

 

 

Sie selbst haben acht Jahre lang auf den Spuren des Völkerapostels den gesamten Mittelmeerraum bereist. Was waren dabei Ihre einschneidendsten Erlebnisse?

 

 

Mich beeindruckten immer wieder die vielen kleinen und großen „Heureka“-Erlebnisse; die Momente also, wenn ich, mit der Apostelgeschichte in der Hand, eine Paulusstätte aufsuchte und mal wieder alles genau so vorfand, wie es Lukas – unser äußerst präziser und zuverlässiger Chronist – beschrieben hat. Deutlich wurde das etwa, als in den letzten Jahren das „Prätorium des Herodes“ in Caesarea in Israel ausgegraben wurde, mitsamt dem Gefängnis des Paulus, dem Gerichtshof, in dem er verhört wurde und der Audienzhalle, in der Roms Statthalter Festus ihn König Agrippa II. vorführte. So kam immer mehr die Gewissheit auf, es tatsächlich mit einem Augenzeugenbericht zu tun zu haben. Spannend ist auch die Geschichte von der Entdeckung des Paulus-Sarkophages, der in nächster Zukunft geöffnet werden soll. Am greifbarsten aber wurde Paulus für mich auf Malta. Papst Paul VI. hatte völlig recht, als er das Eiland als „die Insel des hl. Paulus“ bezeichnete. Nirgendwo sonst, mit Ausnahme Roms, sind seine Spuren so frisch und so sorgfältig bewahrt. So fand man die ausgedehnte Villa des „Inselersten“ Publius direkt unter einer christlichen Kirche. Erst vor ein paar Jahren entdeckten Taucher sogar vier Anker eines alexandrinischen Kornschiffes, bei denen es sich sehr wohl um das Schiff handeln könnte, auf dem der hl. Paulus Schiffbruch erlitt. Jetzt bemühen wir uns zusammen mit lokalen Tauchern, auch das Wrack zu lokalisieren!

 

Kaum eine biblische Gestalt hat so viele Spuren an historischen Stätten hinterlassen wie Paulus. Kann man daraus Rückschlüsse auf die Bedeutung des Apostels für die frühe Kirchengeschichte ziehen?

 

Das Problem der Paulusforschung ist ja gerade, dass die frühe Kirche so völlig christozentrisch war und bis ins 4. Jahrhundert die Stätten des apostolischen Wirkens eher vernachlässigte. Trotzdem hielten sich Lokaltraditionen. Aber gerade weil seine Wirkungsstätten größtenteils wiederentdeckt werden mussten, sind sie so eindrucksvoll. Sie wurden eben nicht verändert, sondern liegen teilweise heute noch so vor uns, wie er sie einst vorgefunden hatte. Erst im 4. Jahrhundert baute man dann etwa über der Bema von Korinth, der Synagoge von Antiochia in Pisidien oder dem Gefängnis von Philippi Kirchen.

 

Exegeten zweifeln an der Authentizität mancher Paulusbriefe. Auch die historische Glaubwürdigkeit der Apostelgeschichte stellen viele in Frage. Dennoch konnten Archäologen immer wieder die biblischen Berichte bestätigen. Wie erklären Sie sich den Widerspruch?

 

 

Mittlerweile erleben wir die geradezu absurde Situation, dass Historiker und Archäologen viel eher an die Authentizität der Apostelgeschichte und der meisten Paulusbriefe glauben als die Theologen und Exegeten. Oft habe ich den Eindruck, dass mancher Theologe sich gar nicht für den archäologischen Befund interessiert, weil dieser seine schönen Hypothesen zur Formgeschichte der NT-Schriften infrage stellen würde. Da kommt es dann zu den schönsten Spekulationen, die so fern von der Lebenswirklichkeit sind, dass man schon schmunzeln muss. Da heißt es etwa, in der Apostelgeschichte würde der Verfasser (der natürlich nicht Lukas gewesen sein darf) in die „wir“-Perspektive (1. Pers. Plural) wechseln, weil er für diesen Abschnitt eine andere Quelle benutzt hätte; so als wäre der geniale Historiker Lukas nicht in der Lage gewesen, einen Text sprachlich anzupassen. Oder man erklärt das abrupte Ende der Apg. nach den zwei Jahren der Gefangenschaft des hl. Paulus in Rom damit, dass der Verfasser sein Martyrium als bekannt voraussetzte. Also, wenn ich eine Biographie von Johannes Paul II. lese, die mit seiner Polenreise 2002 endet, dann bedeutet das für mich, dass sie spätestens 2003 erschienen sein muss – und nicht, dass ein Verfasser aus dem Jahre 2008 sich aus dramaturgischen Gründen entschied, den Tod dieses großen Papstes zu verschweigen!

 

Viele Orte, von denen in den Paulusbriefen und in der Apostelgeschichte die Rede ist, sind noch nicht oder nur teilweise ausgegraben. Könnte das Paulusjahr hier einen Schub bringen?

 

Ich würde es mir wünschen, aber ich bezweifle das. Der Grund ist ganz einfach: Sämtliche unausgegrabenen Paulusstätten – darunter so bedeutsame Orte wie Ikonion, Lystra, Derbe und Kolossä - befinden sich in einem Land, das sich nicht sonderlich für seine christliche Vorgeschichte zu interessieren scheint, nämlich der Türkei. Da Ausgrabungen im Hochland von Anatolien auch keine Touristenströme versprechen, wird sich da recht wenig ändern, es sei denn, ausländische Universitäten ergreifen die Initiative. Aber auch bei denen ist das Budget für archäologische Grabungen eng bemessen...

 

Der Kölner Erzbischof, Kardinal Joachim Meisner, hat angeregt, an Paulus’ Geburtstort Tarsus in der heutigen Türkei ein Pilgerzentrum zu errichten. Wie beurteilen Sie die Chancen dieser Initiative?

 

 

Das ist eine ganz wunderbare Initiative, denn ein solches Pilgerzentrum ist in Tarsus längst überfällig. Es gibt am Geburtsort des hl. Paulus ja nicht einmal eine Kirche; die Kapelle, die über seinem Geburtshaus errichtet wurde, dient heute als Museum. Tarsus liegt am Mittelmeer, ist von Antalya aus erreichbar und damit auch touristisch interessant, was die türkische Regierung längst begriffen hat; immerhin fanden hier in den letzten Jahren sogar Ausgrabungen statt. Außerdem wäre es uns Christen gegenüber ein Zeichen des guten Willens: Nachdem bei uns die Moscheen wie Pilze aus dem Boden schießen ist doch die Bitte um eine christliche Kirche in der Türkei nicht zu viel verlangt! Wenn Ministerpräsident Erdogan die Zukunft der Türkei in der EU sieht, dann hat er hier die Chance, zu zeigen, dass in seinem Land Religionsfreiheit nicht nur auf dem Papier existiert. Dass die Initiative dazu von Kardinal Meisner stammt, also unserem Erzbischof, freut mich als Neusser natürlich besonders!

 

 

Was erhoffen Sie sich ganz persönlich vom Paulusjahr 2008/2009?

 

Das Paulusjahr 2008/9 bietet uns gleich zwei großartige Chancen an. Zum einen lädt es den einzelnen Christen dazu ein, sich mit den Ursprüngen seines Glaubens auseinanderzusetzen, ja ihnen hautnah zu begegnen.

Europa aber, das sich derzeit in einem Selbstfindungs- und Definitionsprozess befindet, fordert es auf, sich seiner kulturellen Identität zu besinnen. Theodor Heuss, der erste Bundespräsident und ein überzeugter Liberaler, erklärte einmal, Europa sei auf drei Hügeln erbaut: dem Areopag als Symbol für griechisches Denken und Demokratie, dem Kapitol, das für römisches Recht steht, und Golgota, sprich: dem christlichen Menschenbild. In der Person des Paulus von Tarsus wurden diese drei Elemente erstmals miteinander verbunden: Das Evangelium traf die Philosophie und eroberte Rom. Das christliche Abendland entstand – ein Erbe, auf das wir stolz sein können, ein Licht, das nicht länger unter den Scheffel gestellt werden darf.

Nutzen wir das Paulusjahr, um dieses großartige Erbe neu zu entdecken!

Das Interview führte Dr. Andreas Laska. Veröffentlicht wurde es in der Zeitschrift "Der Fels. Katholisches Wort in die Zeit." (39 Jg., Juni 2008)

 

 





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