Paulus-Anker vor Malta entdeckt
Paulus-Anker vor Malta entdeckt






 



Freitag, 17. April 2010, 20.15 Uhr: Papst Benedikt XVI. wird der Paulus-Anker präsentiert

„Der Stimme der Vorsehung lauschen“

 
Michael Hesemann über die Papstreise nach Malta, den Anker des hl. Paulus und die Zeichen unserer Zeit

 

Herr Hesemann, Papst Benedikt XVI. war an diesem Wochenende auf Malta. Im Vorfeld des Besuches berichteten Sie von einem römischen Bleianker, der am Tag seiner Amtseinführung vor der Küste der Insel auf dem Meeresgrund entdeckt wurde und den Sie für einen der Anker vom Schiff des hl. Paulus halten. Hat der Papst den Anker gesehen?
 
Ja, das hat er, obwohl es fast nicht geklappt hätte. Ich stand ja in ständigem Kontakt mit Mark Gatt, dem maltesischen Rettungstaucher, der den Anker entdeckt und geborgen hat. Erst am Dienstag, dem 13. April war aus Rom darum gebeten worden, den Anker an einen Ort zu bringen, an dem der Papst ihn sehen könnte. Das war ziemlich kurzfristig. Mark organisierte schnell alles, ließ sogar ein Display anfertigen, auf dem der Anker dem Papst präsentiert werden könnte. Doch dann schien die maltesische Bürokratie dem allen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Bis Freitag Mittag hatte das Museum, in dessen Archiv er eingelagert war, den Anker noch nicht freigegeben. Erst am Nachmittag hatte Gatt „grünes Licht“: Es stand alles für den Papstbesuch bereit. Zu diesem Zeitpunkt hoffte ich noch, leider vergeblich, nach Malta zu kommen. Denn wegen des Vulkanausbruchs auf Island war in ganz Deutschland der Flugverkehr zum Erliegen gekommen. Dann, am Samstag Abend um 20.15 Uhr, traf bei mir die erste Meldung aus Malta ein, zehn Minuten später hatte ich Mark Gatt am Telefon: Papst Benedikt hat den Anker gesehen, hat mit Gatt gesprochen, sich versichert, dass es tatsächlich der Anker eines alexandrinischen Kornschiffs aus dem 1. Jahrhundert ist.
 

Nun gab es viele alexandrinische Schiffe, es wurden Dutzende römischer Anker vor der Küste Maltas entdeckt. Was macht sie so sicher, dass dieser Anker vom Schiff des Apostels stammt?
 
Nun, als gläubiger Christ könnte ich natürlich sagen: Er wurde verifiziert durch die göttliche Vorsehung, denn es ist gewiss ein Zeichen, dass er am Tag der Amtseinführung des Paulusjahr-Papstes gefunden wurde. Aber ich bin Historiker und ganz so einfach darf ich es mir nun wirklich nicht machen. Lassen Sie mich Ihre Frage daher etwas ausführlicher beantworten. Ich bin im Januar 2008 nach Malta gereist, um für mein Buch „Paulus von Tarsus“ zu recherchieren und herauszufinden, welche Zeugnisse es vom Besuch des Apostels auf der Insel überhaupt gibt. Rein zufällig buchte ich ein Hotel an der Salina Bay, heute würde ich sagen: Mit Blick auf die Sandbank, auf der das Paulus-Schiff auflief. Aber das wusste ich damals natürlich noch nicht. Gleich in der ersten Nacht erzählt mir mein Taxifahrer etwas von einem römischen Anker, der außerhalb der Bucht entdeckt worden war, worüber die „Times of Malta“ berichtet hätte. Dabei hatte ich eine ganz andere Bucht im Auge, die St. Thomas-Bucht, die der US-Forscher Bob Cornuke für den wahren Ort des Schiffsbruchs Pauli hielt, weil dort von Tauchern gleich vier römische Bleianker entdeckt worden waren. Ich treffe mich mit einem der Taucher, Ray Ciancio, und der erzählt mir nicht nur ebenfalls von dem Salina-Fund, er bringt mich auch mit seinem Entdecker, Mark Gatt, in Kontakt. In der letzten Nacht, die ich auf Malta verbringe, treffen wir uns. So berichte ich in meinem Buch ziemlich wertneutral über beide Ankerfunde – und beschließe, der Frage weiter nachzugehen.

Schließlich fliege ich im September 2008 wieder nach Malta, dieses Mal für 14 Tage. Ein paar Tage lang ist ein Journalistenkollege aus Rom dabei, ansonsten Yuliya Tkachova, die begeisterte Taucherin ist. Dieses Mal sind wir mit beiden, Ray Ciancio und Mark Gatt, verabredet, lassen uns im Boot an die Fundorte der Anker bringen, benutzen Seekarten, Yuliya taucht, wir rekonstruieren das Szenario des Schiffsbruchs unter den jeweiligen topgraphischen Bedingungen. Und ich gebe zu, wir verliebten uns in die St. Thomas-Bucht, die ein wirklich wunderbarer, touristisch noch völlig unerschlossener Ort ist. Wir wohnen dort in einem kleinen Hotel, essen abends bei Ray in seinem „Driftwater“-Restaurant und wünschen uns nichts mehr als dass die Anker, die er entdeckte, die „paulinischen“ sind. Doch kaum fahren wir die Strecke mit dem Boot ab, kommen mir erste Zweifel. Der Fundort der Anker befindet sich kurz vor einem Riff, dem Munxar Reef. Hätte das Schiff des hl. Paulus dort über Nacht geankert, die Wellen hätten es da schon gegen das Riff geschleudert, es wäre zerschmettert worden, bevor der Morgen anbrach. Wahrscheinlich waren die vier Anker einst sogar abgeworfen worden, um ein Schiff zu erleichtern, damit es das Riff noch passieren konnte. Das war natürlich ein ganz anderes Szenario, als es uns die Apostelgeschichte schildert. Dabei stammen auch diese vier Anker aus römischer Zeit. Doch man fand rund um das Riff auch Amphoren des spanischen Typs; ziemlich untypisch für ein Schiff aus Alexandria. Für einen Korntransporter waren die Anker auch viel zu klein. Und so kam eines zum anderen, dass ich von dem St. Thomas-Bay Szenario allmählich Abschied nahm.
 
Ganz anders erging es mir, als wir mit Mark Gatt zur Fundstätte „seines“ Ankers ausliefen. Beim ersten Tageslicht hätte man von dort aus wunderbar die Salina-Bucht erblicken können, eine „Bucht mit flachem Strand“ (Apg 27,39). Jeder Seemann hätte sein Schiff bei der Einfahrt in die Bucht so gesteuert, dass es in der Mitte bleibt; da sind Buchten gewöhnlich am tiefsten. Doch die Salina-Bucht ist tückisch, denn genau in ihrer Mitte liegt eine Sandbank. Da wäre jedes Schiff aufgelaufen. Wir ankerten direkt über ihr, das Meer ist dort nur fünf Meter tief. Yuliya tauchte und fand einen ganzen Haufen von Keramikfragmenten. Schon seit langem vermuten maltesische Unterwasserarchäologen hier ein Schiffswrack. Ein maltesischer Unterwasser-Pionier, Commander Scicluna, präsentierte einige der Keramikfragmente erfahrenen Seefahrtexperten. Ihr Urteil: Sie stammen von Keramikröhrchen, sogenannten „tubi fittiti“, die, ineinandergesteckt, als Abdeckung des Kabinendachs römischer Kornschiffe um 100 n.Chr. dienten. Scicluna fand auch drei weitere riesige Bleianker, die vom selben Schiff zu stammen scheinen wie Mark Gatts Fund, zwei von ihnen je 250 kg, der dritte dreieinhalb Tonnen schwer. Da lag Gatts Anker mit 700 kg noch ziemlich in der Mitte. Und um die Frage des Papstes zu beantworten: Kein Zweifel, dass er aus Alexandria stammte – denn schließlich trug er als Inschrift die Namen zweier ägyptischer Gottheiten, Isis und Sarapis, deren Kultzentrum die ägyptische Hafenstadt war.
Es war also genau so, wie es die Apostelgeschichte schilderte: Ein alexandrinisches Kornschiff ankerte auf dem offenen Meer, ließ dort, in einer Tiefe von etwa 30 Metern, seine Anker zurück und nahm Kurs auf eine Bucht mit flachem Strand. Dort lief das Schiff auf eine tückische Sandbank auf. Den Männern dürfte es nicht schwer gefallen sein, von dort aus an Land zu schwimmen, es sind nur 300 Meter. Oberhalb der Bucht liegt das Dorf Burmarrad mit der Kirche St. Pawl Milqi. Sie wurde über der römischen Villa errichtet, in der nach lokaler Überlieferung der „Inselerste“ Publius den hl. Paulus empfing. Archäologen fanden heraus, dass hier schon im 4. Jahrhundert ein christlicher Kultort war, Graffiti zeigen ein Schiff und einen bärtigen Mann, der der Ikonografie des Völkerapostels entspricht. Von diesem Landgut aus hatte man einen wunderbaren Blick auf die Bucht; ein Schiffbruch wäre sofort bemerkt worden, die Einheimischen wären den Gestrandeten zur Hilfe geeilt, ganz wie es in der Apostelgeschichte steht.
 

Müssen also die Exegeten umdenken, beruht die Apostelgeschichte doch auf Augenzeugenberichten?
 
Davon bin ich überzeugt und darin liegt ja die Bedeutung des Ankerfundes. Wenn er vom Schiff des Völkerapostels stammt, dann ereignete sich der Schiffbruch genau so, wie ihn die Apostelgeschichte schildert – bis ins kleinste Detail. Der Details sind zu viele, um auf eine lange tradierte mündliche Überlieferung zu schließen. Nein, alles spricht dafür, dass wir es mit einem Augenzeugenbericht zu tun haben, wie ja auch die sprachliche „wir“-Form des Erzählers indiziert. Lukas war beim Schiffbruch dabei, er hat seinen Bericht verfasst, als Paulus in Rom auf seinen Prozess wartete, also 62 n.Chr. Da er in der Einleitung bereits auf das Lukas-Evangelium Bezug nimmt, muss er dieses noch früher verfasst haben, wohl um 61 n.Chr. – und dann stammen auch die anderen Evangelien, die er erwähnt, aus der Zeit der Augenzeugen.
Damit aber wird der Anker plötzlich zu einem starken Symbol. Dieser Fund belegt nicht nur den Wahrheitsgehalt der neutestamentlichen Überlieferungen, er verankert sie auch in der Geschichte und der Archäologie. Plötzlich erleidet eine fehlgeleitete, überkritische Exegese Schiffbruch. Und all das ereignete sich an eben jenem Tag, an dem der größte Theologe unserer Zeit, Joseph Ratzinger, in das Petrusamt eingeführt wird!
 

Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Hand aufs Herz, Herr Hesemann, haben Sie sich nicht durch diesen Umstand beeinflussen lassen, als sie die Geschichte des Fundes untersuchten?
 

Ob Sie es mir glauben oder nicht: Es fiel mir erst sehr spät auf, dass Mark Gatt seinen Fund am Tag der Amtseinführung Benedikts XVI. machte. Das ist schon komisch, denn natürlich kannte ich das Datum, ich war ja 2005 in Rom bei der Papstmesse dabei gewesen. Doch schlagen Sie nach in meinem Buch „Paulus von Tarsus“: Ich nenne zwar Jahr und Tag, aber irgendwie war mir damals der Zusammenhang noch nicht bewusst. Und das war auch gut so, nur deshalb blieb ich unvoreingenommen. Ich gebe ja zu, dass ich ursprünglich mit der St. Thomas-Bucht liebäugelte; sie ist einfach die landschaftlich schönere Bucht! Erst als alle Fakten auf dem Tisch lagen und ich mich aufgrund ihrer für die Salina-Bucht entschied, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Mein Gott, da war doch was an diesem Tag! Richtig, es war der Tag, an dem der Papst des Paulus-Jahres die Kathedra Petri bestieg! Da musste ich natürlich den Heiligen Vater informieren.
 

Und am 17. Februar 2010 war es dann soweit?
 
Nein, ich schickte meinen Bericht schon im Oktober an Monsignore Dr. Gänswein, den Sekretär Seiner Heiligkeit. Trotzdem nutzte ich die Gelegenheit, Papst Benedikt im Februar noch einmal persönlich darauf hinzuweisen und ein Foto des Ankers zu übergeben.
 

Wie reagierte er?
 
Sehr positiv. Er schaute mir tief in die Augen und meinte: „Das ist wirklich ein Zeichen der göttlichen Vorsehung.“ Ich war so beeindruckt von seinen Worten, dass ich sie gleich nach der Audienz notierte. Und ja, ich bin davon überzeugt, dass es das ist. Es ist ein Zeichen von größter Symbolkraft, denn der Anker war bei den ersten Christen ein Symbol für das Kreuz und damit für Christus, für einen Glauben, in dem sie in den Stürmen der Zeit Halt fanden. Diese Metapher, dieses Verständnis vom Glauben als Anker, ist aktueller denn je. Das ganze Abendland ist in der christlichen Tradition verankert. Umso schöner, dass gerade Malta seinem Glauben so treu blieb wie kein anderes Land Europas. Es ist ja so eine Art „Insel der Seligen“ in einer sturmgepeitschten Zeit, so wie es auch für Paulus und seine Gefährten zum rettenden Eiland wurde. Sie strandeten zwar, sie mussten alles hinter sich lassen, doch sie wurden auf wunderbare Weise gerettet und legten eine Saat, die aufging. Da ist es vielleicht eine Ironie der Geschichte, vielleicht aber auch ein weiteres Zeichen der Vorsehung, was am Himmel über Europa los war, als der Papst einen Tag nach seinem Geburtstag und genau fünf Jahre nach dem historischen Konklave von 2005 nach Malta aufbrach. Über dem ganzen Kontinent zogen schwarze Wolken auf, die Aschewolken aus Island. Nur zwischen Malta und Rom funktionierte der Flugverkehr reibungslos. Vielleicht sollten wir lernen, auch auf solche Zeichen zu achten und der Stimme der Vorsehung zu lauschen, statt immer nur an einen Zufall zu glauben.  
 

Michael Hesemann ist Historiker und Autor diverser Sachbücher zu Themen der Kirchengeschichte.


Der Anker bei der Bergung ...


Benedikts Anker

Am Tag der Amtseinführung Benedikts XVI., dem 24. April 2005, entdeckten Taucher vor der Küste Maltas einen geheimnisvollen Anker aus römischer Zeit.
Zeugt er vom Schiffsbruch des Völkerapostels Paulus vor 1950 Jahren?

Von Michael Hesemann

Am Morgen des 24. April 2005 stand Mark Gatt schon früh auf. Er hatte sich mit ein paar Freunden zu einem Tauchgang verabredet. Seit über 20 Jahren war er als Rettungstaucher tätig, hatte in aller Welt, auch in Deutschland, Zertifikate erworben und war jetzt berechtigt, junge Taucher auszubilden. Es war ein grauer, stürmischer Morgen, ein Südostwind peitschte die See auf. Man würde nicht weit rausfahren, eher in Küstennähe bleiben.

Das Boot der Männer lag in der St. Paul’s Bay, der Bucht, in welcher der Legende nach der hl. Paulus im November des Jahrs 59 Schiffbruch erlitt. Doch niemandem stand an diesem Tag der Sinn nach Legenden. Man wollte auf Nummer Sicher gehen, an einer Stelle ankern, an der man die Küste im Blick hatte, es einen Orientierungspunkt gab, nur für den Fall, dass man abtrieb. Die vier Männer entschieden sich für den Ghallis-Turm östlich der Salina Bay; dort war das Meer bis zu vierzig Meter tief, optimal für einen Tauchgang.

Einer der Männer nach dem anderen band sich den Bleigurt an, schulterte die Pressluftflasche, setzte sich die Atemmaske auf und kippte rücklings in das kühle Nass. In 36 Metern Tiefe hatte man den Meeresgrund erreicht und schwärmte aus. Irgendwann fiel Mark ein mächtiger, dunkler, länglicher Gegenstand auf, der ihn im Dunkel der Tiefe in seinen Bann zu ziehen begann. Zuerst dachte er an das Heckruder eines Flugzeugs aus dem Zweiten Weltkrieg, von denen so viele Wracks vor der Küste Maltas liegen. Doch als er näher kam, wurde ihm schlagartig klar, wie falsch er damit lag. Nein, es war ein riesiger Anker aus der Römerzeit! Ähnliche Exemplare hatte er im Archäologischen Museum Maltas in Valetta oder im Seefahrtmuseum von Vittoriosa gesehen. „Es war so, als wollte er von mir gefunden werden“, erklärte mir Mark Gatt, als ich ihn drei Jahre später in seinem Blumengeschäft in St. Paul’s Bay aufsuchte. Er hatte die Herausforderung seines Lebens gefunden. Sofort markierte er den Fund durch eine Signalboje, die er an einem ungewöhnlich langen Tau befestigte, um andere Taucher irrezuführen.

Wieder an Land, bereitete er die Bergung des Fundes vor. Fünf Tage später – gerade noch rechtzeitig, denn seine Boje hatte schon die Aufmerksamkeit von Schatztauchern erregt – fand die aufwändige Bergung statt. Von Mark und seinen Freunden, die wieder auf den Meeresgrund tauchten, wurde der 2,25 Meter lange, über 700 Kilo schwere Bleigigant vertaut, dann mit Hilfe von Hebesäcken, die unter Wasser mit Luft gefüllt wurden, langsam in die Höhe gezogen. Allmählich stieg er auf, dem Sonnenlicht entgegen, das die Wellen durchbrach. Dann nahmen die Männer ihn ins Schlepptau, bis ihr Boot das Ufer der Salina Bay erreichte. Dort wartete bereits ein Kran, der den Anker aus dem Meer und auf die Ladefläche eines Kleinlastwagens hob.

Er jetzt waren Mark und seine Freunde in der Lage, ihn gründlicher zu inspizieren. Dabei bemerkten sie etwas, das ihren Fund von all den anderen römischen Ankern in den Museen Maltas unterschied. Er trug eine Inschrift. ISIS – SARAPI(S) stand da in erhabenen Lettern auf seinen beiden Armen. Isis und Sarapis (oder Serapis) waren zwei ägyptische Gottheiten, die zwischen dem 1. und dem 3. Jahrhundert im ganzen Römischen Reich verehrt wurden. Das Zentrum ihres Kultes war Alexandria. Die ungewöhnliche Größe des Ankers ließ keinen Zweifel, dass er von einem mächtigen Transportschiff stammte. Die größten Frachtschiffe der Römerzeit waren die Kornschiffe aus Alexandria, deren Aufgabe es war, die Reichshauptstadt mit Getreide aus dem Niltal zu versorgen. Ägypten war die Kornkammer Roms. Tatsächlich wissen wir von einem alexandrinischen Kornschiff, das vor der Küste Maltas ankerte, bevor es am nächsten Morgen Schiffbruch erlitt. Die Tradition besagt, dass dies in der Nähe der Fundstätte dieses Ankers geschah. Auf diese Weise kam ein prominenter Gast als Schiffbrüchiger auf die Insel – der Völkerapostel Paulus. Hatte Mark Gatt einen der vier Anker gefunden, die in der Apostelgeschichte erwähnt werden? Und ist es ein Zufall, dass er diesen Fund ausgerechnet am Morgen des 24. April 2005 machte, dem Tag also, an dem in Rom Papst Benedikt XVI. mit einem feierlichen Pontifikalhochamt in sein Amt eingeführt wurde? Der Papst, der als bisherigen Höhepunkt seines Pontifikats 2008/9 das Paulusjahr gefeiert hat und der zum 5. Jahrestag seiner Wahl und zur 1950-Jahrfeier des Apostelbesuchs 2010 vom 17.-18. April die Insel Malta besucht...

Natürlich wird es nie möglich sein, mit absoluter Sicherheit festzustellen, ob der Anker, den Mark Gatt an diesem besonderen Morgen fand, tatsächlich vom Schiff des Völkerapostels stammt. Allerdings spricht einiges dafür und nichts dagegen.

Der Apostelgeschichte zufolge war Paulus als Gefangener auf dem Weg nach Rom, wo ihn das kaiserliche Gericht erwartete. Alexandrias Reeder hatten Verträge mit dem Kaiser, sie mussten ihre Schiffe auch für den Transport von Soldaten und Sträflingen zur Verfügung stellen. Der Korntransporter aus Ägypten hatte zunächst vor Kreta geankert, war dann in einen Herbststurm geraten – den gefürchteten Gregale, den Lukas als „Eurakylon“, Nordnordoster, bezeichnet – und trieb 14 Tage lang „auf der Adria“ – so nannten die Römer auch den Abschnitt des Mittelmeeres zwischen Sizilien und dem Peloponnes. In der Nacht des 14. Tages gewahrte die Besatzung die Nähe von Land. Aus Furcht, auf Klippen laufen zu können, „warfen sie vom Heck aus vier Anker und wünschten sich den Tag herbei“. Zuvor hatte man mit dem Senkblei eine Seetiefe von 20, dann von 15 Klaftern (37 bzw. 28 Metern) gemessen. Weiter heißt es im Bericht des Lukas: „Als es nun Tag wurde, entdeckten die Matrosen eine Bucht mit flachem Strand ... sie machten die Anker los und ließen sie im Meer zurück ... Als sie aber auf eine Sandbank gerieten, strandeten sie mit dem Schiff; der Bug bohrte sich ein und saß unbeweglich fest“ (Apg 27,39-41). Der Besatzung, die Soldaten und die Gefangenen, die an Bord waren, insgesamt 276 Mann, blieb nichts anderes übrig, als ans Ufer zu schwimmen. Erst als sie gerettet wurden, erfuhren sie, „dass die Insel Malta heißt“ (28,1).

Tatsächlich identifiziert die lokale Tradition die St. Paul’s Bay im Nordwesten Maltas als den Ort des Schiffbruchs Pauli. Dort, auf einer kleinen Insel, begrüßt noch heute eine goldglänzende Statue des Völkerapostels die Reisenden. Doch die Tradition muss irren. Die St. Paul’s Bay hat keinen Strand, sondern eine felsige Küste. Sie hat auch keine Sandbänke und selbst die gründlichsten Versuche der maltesischen Unterwasserarchäologen, auf ihrem Grund ein Schiffswrack auszumachen, scheiterten kläglich. Es gibt kein Wrack aus römischer Zeit in der „Paulusbucht“.

Dann, im April des Jahres 2000, machte sich der amerikanische Forscher Bob Cornuke auf die Suche nach dem Ort des Schiffbruchs. Cornuke misstraute der Tradition – und hielt die St. Thomas Bay im Osten der Insel für die richtige Stätte. Tatsächlich hat die Bucht einen Sandstrand. Läuft man sie aus südöstlicher Richtung an, passiert man unweigerlich ein Riff, das Munxar-Reef. Amphoren aus römischer Zeit zeugen von einem hier versunkenen Schiff. Jenseits des Riffs entdeckten der Taucher Ray Ciancio und zwei seiner Kollegen insgesamt vier Bleianker aus römischer Zeit. All das war Grund genug für mich, die St. Thomas-Bucht in meinem Buch „Paulus von Tarsus“ als ernstzunehmende Alternative zur traditionellen Schiffbruchsstätte darzustellen.

So traf ich mich im September 2008 mit VATICAN-Chefredakteur Guido Horst und der ukrainischen Journalistin Yuliya Tkachova auf Malta, um dem Geheimnis um die Ankerfunde auf den Grund zu gehen. Als Guido Horst schon abgereist war, ließen wir uns von Ray Ciancio in einem Motorboot zur Fundstätte der Anker bringen, steuerten von dort aus den Sandstrand an. Tatsächlich kreuzten wir dabei das Munxar-Riff. Der Rumpf eines alexandrinischen Kornschiff wäre von seinen Klippen aufgerissen worden. Doch während wir die Stätte inspizierten, machten sich auch erste Zweifel breit. Die Klippen waren 1,2 Kilometer von der Küste entfernt; ziemlich weit für die 276 Schiffsbrüchigen, die diese Strecke teils in Ketten und bei sturmgepeitschter See schwimmend hätten zurücklegen müssen. Immerhin betont die Apostelgeschichte, dass sie alle unbeschadet das Ufer erreichten. Die Amphoren und Anker, die man an dieser Stelle fand, stammten zweifellos aus römischer Zeit. Doch die Amphoren sind vom „spanischen Typus“, die Anker eigentlich zu klein, um von einem der riesigen Korntransporter zu stammen. Auch das Szenario des Schiffsbruchs wäre an dieser Stelle ein anderes, als es die Apostelgeschichte schildert. Die Anker wurden so unmittelbar vor dem Riff entdeckt, dass man annehmen kann, die Seeleute haben sie über Bord geworfen, um ihr Schiff zu erleichtern und das Riff doch noch zu passieren. Zudem hingen antike Anker an langen Tauen; wären Ciancios Anker nachts ausgeworfen worden, um das Schiff zu verankern, hätte es schon die Brandung gegen die Klippen getrieben. Schließlich ist in der Apostelgeschichte auch weder von Riffs und Klippen die Rede noch davon, dass der Korntransporter „aufgeschlitzt“ wurde. Bei Lukas lief das Schiff vielmehr auf eine Sandbank und brach auseinander. So sehr uns die St. Thomas-Buch schon aufgrund ihrer landschaftlichen Schönheit faszinierte, letztendlich siegte die Skepsis.

Doch neben der St. Pauls- und der St. Thomas-Buch gibt es noch eine dritte Möglichkeit, den Schiffbruch Pauli zu verorten: in der Salina Bay im Norden der Insel, zwischen der Paulusbucht und dem Ghallis-Turm, vor dem Mark Gatt den riesigen Bleianker fand. Auch sie ist von flachem Strand umgeben. Und sie ist tückisch. Exakt in der Mitte der schmalen Bucht, dort also, wo ein vorsichtiger Kapitän sein Schiff hinsteuern würde, liegt in nur fünf Metern Tiefe eine Sandbank. Das hohe Aufkommen antiker Tonscherben und ganzer Amphoren ließ maltesische Unterwasserarchäologen hier längst ein antikes Schiffswrack vermuten. Es muss groß gewesen sein – so groß wie ein alexandrinisches Kornschiff. Einer der ersten, die hier fündig wurden, war der legendäre maltesische Unterwasserarchäologe Comm. Salvino Anthony Scicluna. Zu seinen Funden in dieser Bucht gehörten tönerne „tubi fittiti“, die „als Abdeckung des Kabinendachs römischer Kornschiffe um 100 AD dienten“, wie es in seinem Bericht heißt. Im Seegebiet vor dem Ghallis-Turm, eben dort also, wo Mark Gatt „seinen“ Anker fand, entdeckte Comm. Scicluna in den 1960er bis 1980er Jahren fünf weitere mächtige römische Bleianker, von denen der größte viereinhalb Meter lang ist und dreieinhalb Tonnen wiegt. Tatsächlich erwähnt der Verfasser der Apostelgeschichte, dass die Matrosen neben den vier Heckankern auch noch „vom Bug aus Anker auswarfen“ (27,30), sodass es mehr als vier gewesen sein müssen. Alle Anker stammten, wie der, den Mark Gatt entdeckte, aus dem 1. oder 2. Jahrhundert n.Chr.

So ließen wir uns im September 2008 von Mark Gatt zum Fundort seines Ankers bringen. Ich versuchte, mich in die Rolle eines Kapitäns vor 2000 Jahren hineinzuversetzen. Wenn man vom Seegebiet vor dem (heutigen) Ghallis-Turm aus weiter Richtung Westen steuert, entdeckt man nur Minuten später die ebenso tückische wie einladende Salina-Bucht. Von offener See aus erkennt man ihren flachen Strand. Wir baten Mark Gatt, ihn für uns anzusteuern. Am Eingang zur Bucht achteten wir darauf, exakt in ihrer Mitte zu bleiben, dort, wo eigentlich das Meer am tiefsten sein müsste. Nach nur wenigen Minuten befanden wir uns direkt über der Sandbank. Ein größeres Schiff wäre hier unvermeidlich aufgelaufen. Die Vorstellung, dass hier das Kornschiff des hl. Paulus Schiffbruch erlitten haben könnte, erscheint durchaus plausibel.

Auch archäologisch spricht alles dafür. Oberhalb der Salina Bay liegt das Dorf Burmarrad. Sein Name, „faules Wasser“, zeugt noch heute davon, dass es einst an ein Sumpfgebiet grenzte. Hier erhebt sich auf einem Hügel die kleine Kirche San Pawl Milqi („Paulus Willkommen“), eine Stiftung des Malteser-Großmeisters Wignacourt aus dem 17. Jahrhundert. Doch schon ein Dokument aus dem Jahre 1448 erwähnt eine Kirche desselben Namens an dieser Stelle. Hier soll Paulus von Publius empfangen worden sein, „dem Ersten der Insel“, dem dort ein Landgut gehörte. Als Paulus erfuhr, dass der Vater des Inseloberen an Fieber und Ruhr erkrankt war, ging er gleich an sein Krankenbett und heilte ihn.

Im Ersten Weltkrieg stießen britische Soldaten, die hier einen Graben ausheben sollten, auf römische Ruinen. Trotzdem dauerte es noch ein halbes Jahrhundert, bis das Gebiet um San Pawl Milqi archäologisch untersucht wurde. Zwischen 1963 und 1968 führte Prof. Michelangelo Cagiano de Azevedo aus Rom hier umfangreiche Ausgrabungen durch und stieß auf die Überreste eines römischen Landguts aus dem 1. Jahrhundert. Die Wände des luxuriösen Wohnbereichs waren mit Marmorimitationen bemalt. Offenbar gehörte die Villa einem angesehenen Bürger. Eine ganze Reihe antiker Ölpressen und Lagerbehälter für Olivenöl deuten darauf hin, dass eine ausgedehnte Ölbaumplantage zu ihr gehörten. Im 3. Jahrhundert, als man im ganzen Reich die Christen verfolgte, wurde das Landhaus abgebrannt.

Ein rundlicher Küster öffnete für uns eine Klappe im Kirchenboden. Wir stiegen hinab und entdecken eine antike Zisterne, die von den Archäologen freigelegt wurde; ihr Brunnen liegt genau unter dem Altar. Cagiano de Azevedo war überzeugt, dass dieser Teil der Villa ab dem 4. Jahrhundert von den Christen der Insel als Taufstätte benutzt wurde. In einen Sandsteinquader waren ein Segelschiff und ein bärtiger Mann eingeritzt. Auf einem konnte man in griechischen Buchstaben den Name PAULOS lesen. Öllampen mit christlichen Symbolen stammten aus dem 5. Jahrhundert. Erst die arabische Invasion machte der christlichen Präsenz ein Ende. Obwohl Cagianos Schlussfolgerungen, die er 1966 unter dem Titel „Testimonianze Archeologiche della Tradizione Paolina a Malta“ veröffentlichte, von Kollegen heftig angegriffen wurden, sprechen die Funde für sich. Die Lage an einem Sumpfgebiet könnte die Ursache für die Erkrankung von Publius' Vater gewesen sein. Von der Villa aus hat man einen herrlichen Blick auf die Salina Bay. Hätte sich hier ein Schiffbruch ereignet, die Bewohner des Landgutes hätten sofort zur Hilfe eilen können, ganz wie es die Apostelgeschichte schildert.

Hat Mark Gatt also, ausgerechnet am Tag der Amtseinführung Benedikts XVI., einen der Anker des Paulusschiffes gefunden? Möglich ist es. Stimmt der Bericht des Lukas, dann müssen die vier bis sechs Bleianker in 28 bis 37 Metern Tiefe auf dem Meeresgrund vor Malta auch zwei Jahrtausende überdauert haben. Früher oder später würden Taucher sie finden. Warum eigentlich nicht an einem so schicksalsträchtigen Tag?

Deshalb hielt ich es für wichtig, Papst Benedikt XVI. über den Fund zu informieren, bevor er nach Malta aufbricht. Schließlich hatte ich am 17. Februar 2010 die Gelegenheit, dem Heiligen Vater im Rahmen einer Audienz ein Foto des Ankers und einen Bericht über seine Entdeckung zu überreichen. Mit großer Aufmerksamkeit verfolgte er meine kurze Ausführung, dann entfuhr es ihm: „Das ist wirklich ein Zeichen der göttlichen Vorsehung!“

Natürlich informierte Mark Gatt, wie es das Gesetz verlangt, gleich nach dem Fund die maltesischen Behörden. Derzeit befindet sich der Anker im Archiv des National Maritime Museums von Birgu. Er soll dem Papst bei seinem Besuch auf Malta gezeigt werden.


* Michael Hesemann ist Historiker und Autor diverser Sachbücher zur Kirchengeschichte. 2008 erschien sein Bestseller „Paulus von Tarsus. Archäologen auf den Spuren des Völkerapostels.“

Luftaufnahme der Salina-Bucht. Ganz links: Das Dorf Burmarrad. Ganz rechts an der Küste:

Der Ghallis-Turm - vor ihm, weiter draußen auf dem Meer, wurde der Anker in 36 Metern Tiefe gefunden.

Mark Gatt taucht an der Fundstätte. Im Hintergrund der Ghallis-Turm, ein Wachturm aus dem 17. Jahrhundert


Ruinen der Publius-Villa von Burmarrad. Im Hintergrund die Salina-Bucht.

Die Zisterne der Villa unter der Kirche San Pawl Milqi.

 

 

Autor Michael Hesemann übergibt Papst Benedikt ein Foto des Ankers und einen Bericht über den Fund
 

 

 





hoch
zurück
zurück zu homeHomebearbeitenE-Mailvor zu St. Paul's Anchor Discovered