BXVI Katechesen V
BXVI Katechesen V






 

Papst Benedikt XVI.:

Katechesen zum Paulusjahr

Teil V.  (10. Dez.  2008 - 14. Jan. 2009)

  

"Mit Christus, dem Herrn der Kirche und des Kosmos, die Liebe leben"

Katechese während der Generalaudienz am 14. Januar 2009

 
"Liebe Brüder und Schwestern!

Unter den Briefen des paulinischen Briefwerkes finden sich zwei, der Brief an die Kolosser und jener an die Epheser, die in gewissen Maß als Zwillingsbriefe betrachtet werden können. Der eine wie der andere weist nämlich Ausdrucksweisen auf, die sich nur ihn ihnen finden, und es wurde berechnet, dass sich mehr als ein Drittel der Worte des Briefes an die Kolosser auch in dem an die Epheser finden. Während man zum Beispiel im Brief an die Kolosser wörtlich die Einladung liest: „Singt Gott in eurem Herzen Psalmen, Hymnen und Lieder, wie sie der Geist eingibt" (Kol 3,16), fordert der Brief an die Epheser ebenso auf: „Lasst in eurer Mitte Psalmen, Hymnen und Lieder erklingen, wie der Geist sie eingibt" (Eph 5,19). Wir könnten über diese Worte nachdenken: das Herz muss mit Psalmen und Hymnen singen, und so auch die Stimme, um in die Überlieferung des Gebetes der ganzen Kirche des Neuen und Alten Testaments einzutreten; so lernen wird, zusammen mit uns und unter uns zu sein, und mit Gott. Darüber hinaus findet sich in beiden Briefen ein so genanntes „häusliches Regelwerk", das in anderen Paulusbriefen fehlt, das heißt eine Reihe von Empfehlungen, die an Ehemänner und Ehefrauen, an Eltern und Kinder, an Herren und Knechte gerichtet sind (vgl. Kol 3,18-4,1 und Eph 5,22-6,9).

Noch wichtiger ist die Feststellung, dass nur in diesen beiden Briefen der Titel „Haupt", kephalé, bezeugt ist, der Christus verliehen wird. Und dieser Titel wird auf einer zweifachen Ebene angewandt. In einem ersten Sinn wir Christus als das Haupt der Kirche verstanden (vgl. Kol 2,18-19 und Eph 4,15-16). Das bedeutet zweierlei: vor allem, dass er der Regierende, der Leiter, der Verantwortliche ist, der die christliche Gemeinde als ihr Oberhaupt und ihren Herrn leitet (vgl. Kol 1,18: „Er ist das Haupt des Leibes, / der Leib aber ist die Kirche"). Die zweite Bedeutung ist dann, dass er wie der Kopf ist, der alle Glieder des Leibes versorgt und belebt, denen er vorangestellt ist (in der Tat muss man sich nach Kol 2,19 „an das Haupt halten, von dem aus der ganze Leib durch Gelenke und Bänder versorgt und zusammengehalten wird"): er ist also nicht nur einer, der befehligt, sondern jemand, der organisch mit uns verbunden ist, von dem auch die Kraft zum rechten Handeln kommt.

In beiden Fällen wird die Kirche als Christus unterstellt angesehen, sowohl um ihrer oberen Leitung zu folgen - den zehn Geboten -, als auch um alle Leben spendenden Einflüsse aufzunehmen, die von ihm herrühren. Seine Gebote sind keine Worte oder Befehle, sondern Leben spendende Kräfte, die von ihm stammen und uns helfen.

Diese Idee wird besonders im Brief an die Epheser entfaltet, wo sogar die Ämter der Kirche, statt auf den Heiligen Geist zurückgeführt zu werden (wie in 1 Kor 12), vom auferstandenen Christus übertragen werden: „Er gab den einen das Apostelamt, andere setzte er als Propheten ein, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer" (4,11). Und „durch ihn wird der ganze Leib zusammengefügt und gefestigt in jedem einzelnen Gelenk... So wächst der Leib und wird in Liebe aufgebaut" (4,16). Denn Christus ist ganz darauf ausgerichtet, „die Kirche herrlich vor sich erscheinen (zu) lassen, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler; heilig soll sie sein und makellos" (Eph 5,27). Damit sagt er uns, dass die Kraft, mit der er die Kirche errichtet, mit der er die Kirche führt, mit der er der Kirche auch die rechte Richtung gibt, gerade seine Liebe ist.

Die erste Bedeutung ist also Christus - Haupt der Kirche: sowohl hinsichtlich der Leitung als auch und vor allem hinsichtlich der Inspiration und organischen Lebensstiftung durch seine Liebe. In einem zweiten Sinn wird Christus dann nicht nur als Haupt der Kirche, sondern als Haupt der himmlischen Gewalten und des ganzen Kosmos betrachtet. So lesen wir im Brief an die Kolosser: „Die Fürsten und Gewalten hat er entwaffnet und öffentlich zur Schau gestellt. durch Christus hat er über sie triumphiert" (2,15). In ähnlicher Weise finden wir im Brief an die Epheser geschrieben, dass Gott mit seiner Auferstehung Christus „hoch über alle Fürsten und Gewalten, Mächte und Herrschaften und über jeden Namen, der nicht nur in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen genannt wird", gestellt hat (1,21). Mit diesen Worten übertragen uns die beiden Briefe eine höchst positive und fruchtbare Botschaft. Sie lautet: Christus braucht keinen eventuellen Konkurrenten fürchten, da er höher ist als jegliche Form der Macht, die die Absicht hätte, den Menschen zu erniedrigen. Nur er hat „uns geliebt und sich für uns hingegeben" (Eph 5,2). Wenn wir daher mit Christus vereint sind, brauchen wir keinen Feind und keine Gefahr zu fürchten; dies aber bedeutet also, dass wir uns fest an ihn halten müssen, ohne loszulassen!

Für die heidnische Welt, die an eine Welt voller zum Großteil gefährlicher Geister glaubte, vor denen man sich verteidigen musste, erschien die Verkündigung, dass Christus der einzige Sieger war und dass der, der mit Christus war, niemanden zu fürchten hatte, wie eine wahre Befreiung. Dasselbe gilt auch für das Heidentum von heute, da auch die jetzigen Anhänger ähnlicher Ideologien eine Welt voller gefährlicher Mächte sehen. Diesen muss verkündet werden, dass Christus der Sieger ist, so dass der, der mit Christus ist und mit ihm vereint bleibt, nichts und niemanden fürchten muss. Mir scheint, dass dies auch für uns wichtig ist, dass wir lernen müssen, allen Ängsten entgegenzutreten, da er über jeglicher Herrschaft steht, der wahre Herr der Welt ist.

Sogar der gesamte Kosmos ist ihm unterstellt und konvergiert in ihm als sein Haupt. Berühmt sind die Worte aus dem Brief an die Epheser, der vom Plan Gottes spricht, „in Christus alles zu vereinen, alles, was im Himmel und auf Erden ist" (Eph 1,10). Ähnlich ist im Brief an die Kolosser zu lesen: „Denn in ihm wurde alles erschaffen / im Himmel und auf Erden, / das Sichtbare und das Unsichtbare" (1,16), und: „Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, / der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut" (1,20). Es ist da also nicht auf der einen Seite die große materielle Welt und auf der anderen diese kleine Wirklichkeit der Geschichte unserer Erde, die Welt der Menschen: alles ist eins in Christus. Er ist das Haupt des Kosmos; auch der Kosmos ist von ihm geschaffen, ist für uns geschaffen, insofern wir mit ihm vereint sind. Dies ist eine vernünftige und personalistische Sichtweise des Universums. Und ich würde sagen: eine universalistischere Sicht als diese konnte nicht entworfen werden, und sie kommt allein dem auferstandenen Christus zu. Christus ist der Pantokrátor, dem alles unterworfen ist: der Gedanke geht eben an den „Allherrscher" Christus, der die Apsiden der byzantinischen Kirchen füllt und oft in der Höhe über der ganzen Welt sitzend oder sogar auf einem Regenbogen dargestellt wird, um seine Gleichstellung mit Gott selbst, zu dessen Rechten er aufgestiegen ist (vgl. Eph 1,20; Kol 3,1), und somit auch seine unvergleichliche Funktion als Führer des Loses der Menschen anzuzeigen.

Eine derartige Sicht kann nur von der Kirche erfasst werden, nicht in dem Sinn, dass sie sich unangebrachter Weise dessen bemächtigen wollte, was ihr nicht zukommt, sondern in einem anderen zweifachen Sinn: sowohl insofern die Kirche anerkennt, dass Christus in gewisser Weise größer ist als sie, da sich seine Herrschaft auch über ihre Grenzen hinaus erdehnt, als auch insofern nur die Kirche als Leib Christi bestimmt ist, nicht der Kosmos. All dies bedeutet, dass wir die irdischen Wirklichkeiten positiv betrachten müssen, da Christus sie in sich vereint, und dass wir gleichzeitig in Fülle unsere besondere kirchliche Identität leben müssen, welche mit der Identität Christi selbst am meisten in Einklang steht.

Es gibt dann auch einen besonderen Begriff, der für diese beiden Briefe typisch ist, und dies ist der Begriff des „Geheimnisses". Einmal ist die Rede vom „Geheimnis des Willens" Gottes (Eph 1,9), und andere Male vom „Geheimnis Christi" (Eph 3,4; Kol 4,3) oder sogar vom „göttlichen Geheimnis", „das Christus ist. In ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen" (Kol 2,2-3). Es meint den unergründlichen göttlichen Plan für das Los des Menschen, der Völker und der Welt. Mit dieser Sprache sagen uns die beiden Briefe, dass sich in Christus die Erfüllung dieses Geheimnisses findet. Wenn wir mit Christus sind, so wissen wir, auch wenn wir verstandesmäßig nicht alles begreifen können, dass wir im Kern des „Geheimnisses" und auf dem Weg der Wahrheit sind. Er ist es, der in seiner Ganzheit, und nicht nur unter einem Aspekt seiner Person oder in einem Moment seines Daseins, in sich die Fülle des unergründlichen göttlichen Heilsplanes trägt. In ihm nimmt das Gestalt an, was die „vielfältige Weisheit Gottes" genannt wird (Eph 3,10), „denn in ihm allein wohnt wirklich die ganze Fülle Gottes" (Kol 2,9). Von nun an ist es also nicht mehr möglich, das Wohlgefallen eines Gottes, seinen erhabenen Plan zu denken und anzubeten, ohne uns persönlich mit Christus in Person auseinanderzusetzen, in dem jenes „Geheimnis" Fleisch angenommen hat und berührbar wahrgenommen werden kann. So gelangt man dazu, „den unergründlichen Reichtum Christi" zu betrachten (Eph 3,8), der über jedes menschliche Begreife hinausgeht. Es ist nicht so, als hätte Gott keine Spuren seines Vorübergangs hinterlassen, da Christus selbst die Spur Gottes ist; aber man wird sich „der Länge und Breite, der Höhe und Tiefe" dieses Geheimnisses bewusst, das „alle Erkenntnis übersteigt" (Eph 3,18-19). Die rein intellektuellen Kategorien erweisen sich hier als unzureichend; indem man anerkennt, dass viele Dinge jenseits unserer Vernunftfähigkeiten stehen, muss man sich der demütigen und freudvollen Betrachtung nicht nur des Geistes, sondern auch des Herzens anvertrauen. Im Übrigen sagen uns die Kirchenväter, dass die Liebe mehr versteht als die Vernunft allein.

Ein letztes Wort ist zum bereits oben erwähnten Begriff zu sagen, der die Kirche als Braut Christi betrifft. Im zweiten Brief an die Korinther hatte der Apostel Paulus die christliche Gemeinde mit einer Verlobten verglichen, indem er so schrieb: „Denn ich liebe euch mit der Eifersucht Gottes; ich habe euch einem einzigen Mann verlobt, um euch als reine Jungfrau zu Christus zu führen" (2 Kor 11,2). Der Brief an die Epheser entfaltet dieses Bild und präzisiert, dass die Kirche nicht nur eine Verlobte ist, sondern die wirkliche Braut Christi. Er hat sie sozusagen für sich erobert, und er tat dies auf Kosten seines Lebens: wie der Text sagt, „hat er sich selbst für sie hingegeben" (Eph 5,25). Welches Liebeszeugnis kann größer sein als dieses? Darüber hinaus aber sorgte er sich um ihre Schönheit: nicht nur jene bereits mit der Taufe erworbene, sondern auch um jene, die jeden Tag dank eines untadeligen Lebens in ihrem moralischen Verhalten wachsen muss, „ohne Falten und Flecken" (vgl. Eph5,26-27). Von hier aus ist der Schritt zur allgemeinen Erfahrung der christlichen Ehe kurz; im Gegenteil, es ist nicht einmal klar, worin für den Verfasser des Briefes der anfängliche Bezugspunkt besteht: ob in der Beziehung Christus-Kirche, in deren Licht die Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau zu sehen ist, oder in der erfahrungsmäßigen Gegebenheit der ehelichen Verbindung, in deren Licht die Beziehung zwischen Christus und der Kirche zu denken ist. Beide Aspekte jedoch erhellen sich gegenseitig: wir lernen, was die Ehe ist, im Licht der Gemeinschaft Christi und der Kirche, wir lernen, wie Christus sich mit uns vereint, indem wir an das Geheimnis der Ehe denken. Auf jeden Fall kommt unser Brief fast zwischen dem Propheten Hosea zu stehen, der die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk als eine bereits vollzogene Ehe erklärte (vgl. Hos 2,4.16.21), und dem Seher der Offenbarung des Johannes, der die eschatologische Begegnung zwischen der Kirche und dem Lamm als eine freudvolle und vollkommene Hochzeit in Aussicht stellt (Offb 19,7-9; 21,9).

Es gäbe noch viel zu sagen, aber mir scheint, dass aus dem bereits Dargestellten schon verstanden werden kann, dass diese beiden Briefe eine große Katechese sind, aus der wir nicht nur das gute Christsein lernen können, sondern auch wie wir wirklich Menschen werden können. Wenn wir beginnen zu verstehen, dass der Kosmos Spur Christi ist, lernen wir unsere rechte Beziehung mit dem Kosmos, zusammen mit allen Problemen der Bewahrung des Kosmos. Wir lernen, ihn mit der Vernunft zu sehen, jedoch mit einer von der Liebe bewegten Vernunft, und mit Demut und Achtung, die es gestatten, auf rechte Art zu handeln. Und wenn wir denken, dass die Kirche der Leib Christi ist, dass Christus sich selbst für sie hingegeben hat, so lernen wir, wie wir mit Christus die gegenseitige Liebe leben können, die Liebe, die uns mit Gott vereint und uns im Anderen das Bild Christi sehen lässt, Christus selbst. Beten wir zum Herrn, dass er uns helfe, gut die Heilige Schrift zu betrachten, sein Wort, und so das wirklich gute Leben zu lernen.

[deutsche Zusammenfassung:]

Liebe Brüder und Schwestern!

Heute möchte ich über zwei Briefe des heiligen Paulus sprechen, über den Brief an die Kolosser und den an die Epheser. Diese beiden Schreiben weisen eine große Übereinstimmung auf; vor allem aber findet sich nur hier der Titel „Haupt" für Christus. Zum einen wird Christus als Haupt der Kirche bezeichnet: Er ist der Herr, der die Gemeinschaft der Gläubigen leitet und führt, und er ist das Haupt, das die Glieder des Leibes anregt und belebt. Die Kirche ist der zum Haupt gehörende Leib. Sie ist dem Herrn unterstellt, um ihm zu folgen und von ihm die Lebensader zu empfangen. Zum anderen wird Christus als das Haupt der himmlischen Mächte und des ganzen Kosmos gesehen. Jesus Christus ist der Herrscher über das All, der Pantokrator, der Allherrscher. „In ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, ... alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen", sagt der berühmte Hymnus aus dem Kolosserbrief (1, 16). Der unergründliche Plan Gottes über den Menschen und die Welt findet in Christus seine Erfüllung. In ihm hat das Geheimnis des göttlichen Willens, die Weisheit Gottes Gestalt angenommen. Ein weiterer wichtiger Gedanke in diesen beiden Briefen ist die Sicht der Kirche als Braut Christi. Jesus Christus hat sich die Kirche erworben, die er liebt und für die er sich hingegeben hat (vgl. Eph 5, 25). Gewissermaßen erleuchten die Beziehung Christus-Kirche und die eheliche Verbindung von Mann und Frau einander gegenseitig. Dieses Bild zeigt uns, wie wir als Christen in Gemeinschaft mit dem Herrn leben sollen.

[Die deutschsprachigen Pilger grüßte der Heilige Vater mit den folgenden Worten:]

Mit Freude heiße ich alle Pilger und Besucher aus dem deutschen Sprachraum willkommen. Christus ist Anfang und Ende, der Mittler der Schöpfung und der Erlösung. Durch die Taufe gehören wir Christus an. Wenn wir mit Ihm, dem Haupt der Kirche und dem Herrn des Alls, verbunden bleiben und uns an Ihm festhalten, brauchen wir nichts und niemanden fürchten. Er führt uns auf den Pfaden des Lichtes und des Lebens. Der Herr segne euch alle."

 

"Der wahre Gottesdienst – Spiegel der göttlichen Liebe in der Welt"

Katechese während der Generalaudienz am 7. Januar 2009

 

"Liebe Brüder und Schwestern!

In dieser ersten Generalaudienz 2009 möchte ich euch allen von ganzen Herzen alles Gute zum Neuen Jahr wünschen, das soeben begonnen hat. Lassen wir in uns den Einsatz neu lebendig werden, Christus unseren Geist und unser Herz zu öffnen, um seine wahren Freunde zu sein und als solche zu leben. Seine Gesellschaft wird es möglich machen, dass dieses Jahr trotz seiner unvermeidlichen Schwierigkeiten ein Weg voller Freude und Friede ist. Denn nur, wenn wir mit Jesus vereint bleiben, wird das neue Jahr gut und glücklich sein.

Der Einsatz für die Einheit mit Christus ist auch das Beispiel, das uns der heilige Paulus gibt. Und so setzen wir die Katechesenreihe fort, bei der ich heute über einen der wichtigen Aspekte seines Denkens sprechen möchte, den Aspekt, der den Kult oder Gottesdienst betrifft, die zu vollziehen die Christen berufen sind. In der Vergangenheit schien man über eine antikultische Tendenz des Apostels zu sprechen, von einer Spiritualisierung der Kult-Idee. Heute verstehen wir besser, dass Paulus im Kreuz Christi eine historische Wende sah, die die Wirklichkeit des Kultes radikal umformt und erneuert. Es gibt vor allem drei Abschnitte im Brief an die Römer, in denen diese neue Sicht des Kultes hervortritt.

1. Nachdem Paulus von der durch Christus gewirkten Erlösung gesprochen hat, fährt er in Röm 3,25 mit einem für uns geheimnisvollen Ausspruch fort. Er lautet so: „Ihn hat Gott dazu bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut, Sühne, wirksam durch Glauben." Mit diesem für uns ziemlich merkwürdigen Ausspruch „Gott hat Christus dazu bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut" deutet der heilige Paulus auf die so genannte „Deckplatte" des antiken Tempels hin, das heißt die Abdeckung der Bundeslade, die als Berührungspunkt zwischen Gott und dem Menschen gedacht war, als Punkt seiner geheimnisvollen Gegenwart in der Welt der Menschen. Diese „Deckplatte" wurde am Tag der Versöhnung, „yom kippur", mit dem Blut der Opfertiere besprengt - jenem Blut, das symbolisch die Sünden des abgelaufenen Jahres mit Gott in Berührung brachte. So wurden die Sünden in den Abgrund der göttlichen Güte geworfen, wo sie gleichsam von der Kraft Gottes aufgesogen, überwunden, vergeben wurden. Das Leben begann von neuem.

Der heilige Paulus deutet diesen Ritus an und sagt: Dieser Ritus war Ausdruck der Sehnsucht, dass wirklich all unsere Schuld in den Abgrund der göttlichen Barmherzigkeit gelegt werden kann, um sie zum Verschwinden zu bringen. Mit dem Blut der Tiere aber wird dieser Prozess nicht verwirklicht. Es bedurfte eines wirklicheren Kontakts zwischen der menschlichen Schuld und der göttlichen Liebe. Dieser Kontakt hat im Kreuz Christi stattgefunden. Christus, wahrer Sohn Gottes, der wahrer Mensch geworden ist, hat all unsere Schuld in sich aufgenommen. Er selbst ist der Ort des Kontaktes zwischen der menschlichen Armseligkeit und dem göttlichen Erbarmen; in seinem Herzen zergeht die traurige Masse des von der Menschheit getanen Bösen und erneuert sich das Leben.

Während Paulus diese Änderung offenbart, sagt er uns: Mit dem Kreuz Christi, dem höchsten Akt der menschliche Liebe gewordenen göttlichen Liebe, ist der alte Kult mit den Tieropfern im Tempel von Jerusalem vorbei. Dieser symbolische Gottesdienst, ein Kult der Sehnsucht, ist jetzt durch den wirklichen Gottesdienst ersetzt worden - der Liebe Gottes, die in Christus Fleisch geworden und im Tod am Kreuz zu seiner Vollkommenheit geführt worden ist. Es ist dies also keine Spiritualisierung eines wirklichen Kultes, sondern im Gegenteil: Der wirkliche Kult, die wahre gottmenschliche Liebe, ersetzt den symbolischen und vorläufigen Kult. Das Kreuz Christi, seine Liebe in Fleisch und Blut, ist der wirkliche Kult, insofern er der Wirklichkeit Gottes und des Menschen entspricht. Schon vor der äußeren Zerstörung des Tempels war für Paulus die Zeit des Tempels und seines Kultes zu Ende: Paulus findet sich hier in vollkommenem Einklang mit den Worten Jesu, der das Ende des Tempels vorhergesagt und einen anderen Tempel angekündigt hatte, „der nicht von Menschenhand gemacht ist" - den Tempel seines auferstandenen Leibes (vgl. Mk 14,58; Joh 2,19ff,). So viel zum ersten Text.

2. Der zweite Text, von dem ich heute sprechen möchte, findet sich im ersten Vers des 12. Kapitels des Briefes an die Römer. Wir haben ihn gehört, und ich wiederhole ihn noch einmal: „Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst." In diesen Worten kommt es zu einem scheinbaren Paradox: Während das Opfer normalerweise den Tod des Opfers erforderlich macht, spricht Paulus davon hingegen mit einem Bezug auf das Leben des Christen. Der Ausdruck „euch selbst darbringen" nimmt angesichts des folgenden Opferbegriffes die kultische Nuance des „als Opfer geben, sich opfern" an. Die Ermahnung „euch selbst darbringen" bezieht sich auf die ganze Person. In der Tat, in Röm 6,13 lädt er dazu ein, „sich selbst zur Verfügung zu stellen". Im Übrigen kommt die ausdrückliche Bezugnahme auf die körperliche Dimension des Christen mit der Einladung überein: „Verherrlicht also Gott in eurem Leib!" (1 Kor 6,20): Es handelt sich also darum, Gott im konkretesten alltäglichen Dasein zu ehren, das aus beziehungsmäßiger und wahrnehmbarerer Sichtbarkeit besteht.

Ein derartiges Verhalten bezeichnet Paulus als „lebendiges und heiliges Opfer, das Gott gefällt". An diesem Punkt begegnen wir dem Wort „Opfer". Im herkömmlichen Sprachgebrauch ist dieser Begriff Teil eines sakralen Kontextes und dient dazu, die Schlachtung eines Tieres zu bezeichnen, von dem ein Teil zu Ehren der Götter verbrannt werden und ein anderer von den Opfernden während eines Mahles gegessen werden kann. Paulus wendet ihn hingegen auf das Leben des Christen an. Er charakterisiert nämlich ein derartiges Opfer, indem er sich dreier Adjektive bedient. Das erste - „lebendig" - bringt Lebhaftigkeit zum Ausdruck. Das zweite - „heilig" - erinnert uns an die paulinische Vorstellung von einer Heiligkeit, die nicht an Orte oder Gegenstände gebunden ist, sondern an die Person des Christen selbst. Das dritte - „Gott wohlgefällig" - beruft sich vielleicht auf den häufigen biblischen Ausdruck des Opfers „von beruhigendem Duft" (vgl. Lev 1,13.17; 23,18; 26,31; etc.).

Unmittelbar daran anknüpfend definiert Paulus diese neue Art des Lebens so: Das ist „für euch der wahre und angemessene Gottesdienst". Die Kommentatoren des Textes wissen wohl, dass der griechische Ausdruck („tên logikên latreían") schwer zu übersetzen ist. Die lateinische Bibel übersetzt ihn mit „rationabile obsequium". Das Wort „rationabile" scheint im ersten Eucharistischen Hochgebet auf, dem Römischen Kanon: In ihm wird Gott darum gebeten, dieses Opfer als „rationabile" anzunehmen. Die übliche deutsche Übersetzung „der wahre und angemessene Gottesdienst" gibt nicht alle Nuancen des griechischen Textes wieder (ebenso wenig die lateinische). Auf jeden Fall handelt es sich nicht um einen weniger wirklichen oder gar allein metaphorischen Gottesdienst, sondern um einen konkreteren und wirklicheren Gottesdienst - einen Kult, in dem der Mensch in seiner Ganzheit als vernunftbegabtes Wesen selbst Anbetung, Verherrlichung des lebendigen Gottes wird.

Diese paulinische Formel, die dann im Römischen Eucharistischen Hochgebet wiederkehrt, ist das Ergebnis einer langen Entwicklung der religiösen Erfahrung in den Christus vorangehenden Jahrhunderten. In dieser Erfahrung treffen theologische Entwicklungen des Alten Testaments und griechische Denkströmungen aufeinander. Ich möchte wenigstens ein paar Elemente dieser Entwicklung aufzeigen. Die Propheten und viele Psalmen kritisieren die grausamen Tempelopfer mit scharfen Worten. So heißt es zum Beispiel in Psalm 50, in dem Gott es ist, der spricht: „Hätte ich Hunger, ich brauchte es dir nicht zu sagen, denn mein ist die Welt und was sie erfüllt. Soll ich denn das Fleisch von Stieren essen und das Blut von Böcken trinken? Bring Gott als Opfer dein Lob..." (12-14). Im selben Sinn heißt es im folgenden Psalm 51: „Schlachtopfer willst du nicht, ich würde sie dir geben; an Brandopfern hast du kein Gefallen. Das Opfer, das Gott gefällt, ist ein zerknirschter Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verschmähen" (18f.). Im Buch Daniel finden wir zur Zeit der erneuten Zerstörung des Tempels durch das hellenistische Regime (2. Jh. v. Chr.) einen neuen Schritt in dieselbe Richtung. Mitten im Feuer - das heißt in der Verfolgung, im Leiden - betet Asarja so: „Wir haben in dieser Zeit weder Vorsteher noch Propheten und keinen, der uns anführt, weder Brandopfer noch Schlachtopfer, weder Speiseopfer noch Räucherwerk, noch einen Ort, um dir die Erstlingsgaben darzubringen und um Erbarmen zu finden bei dir. Du aber nimm uns an! Wir kommen mit zerknirschtem Herzen und demütigem Sinn. Wie Brandopfer von Widdern und Stieren, wie Tausende fetter Lämmer, so gelte heute unser Opfer vor dir und verschaffe uns bei dir Sühne..." (Dan 3,38ff.). In der Zerstörung des Heiligtums und des Kultes, in dieser Lage der Entbehrung jeglichen Anzeichens der Gegenwart Gottes, bringt der Gläubige sein reumütiges Herz als wahres Brandopfer dar - seine Sehnsucht nach Gott.

Wir sehen eine wichtige Entwicklung, die jedoch mit einer Gefahr verbunden ist. Es liegt eine Spiritualisierung, eine Moralisierung des Gottesdienstes vor: Der Kult wird nur zu einer Sache des Herzens, des Geistes. Es fehlt der Leib, es fehlt die Gemeinschaft. So ist zum Beispiel zu verstehen, dass der Psalm 51 und auch das Buch Daniel trotz der Kritik am Kult eine Rückkehr zur Zeit der Opfer herbeisehnen. Es handelt sich aber um eine erneuerte Zeit, um ein erneuertes Opfer - in einer Synthese, die noch nicht vorhersehbar, die noch nicht denkbar war.

Kehren wir zum heiligen Paulus zurück. Er ist der Erbe dieser Entwicklungen, der Sehnsucht nach dem wahren Gottesdienst, in dem der Mensch selbst Herrlichkeit Gottes wird, lebendige Anbetung in seinem ganzen Sein. In diesem Sinn sagt er zu den Römern: „Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen...das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst" (Röm 12,1). Paulus wiederholt so, worauf er bereits im dritten Kapitel hingewiesen hatte: Die Zeit der Tieropfer, der Opfer als Ersatz, ist vorbei. Es ist die Zeit des wahren Gottesdienstes gekommen. Hier liegt allerdings auch die Gefahr zu einem Missverständnis: Dieser neue Kult könnte leicht in einem moralistischen Sinne interpretiert werden: Indem wir unser Leben darbringen, sind wir es, die den wahren Gottesdienst verrichten. Auf diese Weise wäre der Kult mit den Tieren durch den Moralismus ersetzt: Der Mensch würde alles aus sich heraus mit seiner moralischen Anstrengung tun. Und das war gewiss nicht die Absicht des heiligen Paulus. Es bleibt aber eine Frage: Wie sollen wir also diesen „wahren und angemessenen Gottesdienst" interpretieren? Paulus nimmt immer an, dass wir „eins in Christus Jesus" geworden sind (Gal 3,28) und jetzt mit Christus, durch Christus, in Christus leben. In dieser Einheit - und nur so - können wir in ihm und mit ihm „lebendiges Opfer" werden, den „wahren Gottesdienst" leisten. Die geopferten Tiere hätten den Menschen, die Selbsthingabe des Menschen, ersetzen sollen und konnten das nicht. Jesus Christus ist in seiner Hingabe an den Vater und an uns kein Ersatz, sondern trägt das menschliche Sein, unsere Schuld und unsere Sehnsucht wirklich in sich: Er repräsentiert uns wirklich, er nimmt uns in sich auf. In der Gemeinschaft mit Christus, die im Glauben und in den Sakramenten verwirklicht wird, werden wir trotz all unserer Unzulänglichkeiten lebendiges Opfer: Es verwirklicht sich der „wahre Gottesdienst".

Diese Synthese bildet die Grundlage des Römischen Hochgebets, in dem darum gebetet wird, dass dieses Opfer „rationabile" werde - dass der wahre und angemessene Gottesdienst Wirklichkeit werde. Die Kirche weiß, dass in der Allerheiligsten Eucharistie die Selbsthingabe Christi, sein wahres Opfer, gegenwärtig wird. Die Kirche betet aber, dass die feiernde Gemeinde wirklich mit Christus eins sei, verwandelt werde; sie betet, dass wir selbst zu dem werden, was wir aus eigenen Kräften nicht sein können: ein Opfer „rationabile", das Gott wohlgefällig ist. So deutet das Eucharistische Hochgebet in rechter Weise die Worte des heiligen Paulus. Der heilige Augustinus hat all dies auf wunderbare Weise im zehnten seiner „Civitas Dei" erklärt. Ich zitiere nur zwei Sätze. „Dies ist das Opfer der Christen: Obwohl wir viele sind, sind wir nur ein Leib in Christus"... „Die ganze erlöste Gemeinschaft („civitas"), das heißt der Zusammenschluss und die Gesellschaft der Heiligen, ist Gottes Opfer durch den Hohenpriester, der sich selbst hingegeben hat" (10,6: CCL 47, 27 ff.).

3. Zum Schluss noch ein kurzes Wort über den dritten Abschnitt aus dem Brief an die Römer, der den neuen Gottesdienst betrifft. Im 15. Kapitel sagt der heilige Paulus: „Ich tat es kraft der Gnade, die mir von Gott gegeben ist, damit ich als Diener („Liturge") Christi Jesu für die Heiden wirke und das Evangelium Gottes wie ein Priester verwalte (hierourgein); denn die Heiden sollen eine Opfergabe werden, die Gott gefällt, geheiligt im Heiligen Geist" (15,15f). Ich möchte nur zwei Aspekte dieses wunderbaren Textes hervorheben, die die in den Paulusbriefen einzigartige Terminologie betreffen. Zunächst deutet der heilige Paulus sein missionarisches Wirken unter den Völkern der Welt an, um die universale Kirche als priesterliches Handeln zu errichten. Die Verkündigung des Evangeliums, um die Völker in der Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus zu einen, ist eine „priesterliche" Handlung. Der Apostel des Evangeliums ist ein wahrer Priester; er tut das, was die Mitte des Priestertums ist: Er bereitet das wahre Opfer. Und dann der zweite Aspekt: Das Ziel der missionarischen Handlung ist, so können wir sagen, die „kosmische Liturgie": Alle in Christus vereinten Völker, die Welt, sollen als solche Herrlichkeit Gottes werden, „gottgefälliges, im Heiligen Geist geheiligtes Opfer". Hier tritt der dynamische Aspekt hervor, der Aspekt der Hoffnung im paulinischen Begriff vom Gottesdienst: Die Selbsthingabe Christi schließt das Streben danach ein, alle in die Gemeinschaft seines Leibes einzubeziehen, die Welt zu vereinen. Nur in Gemeinschaft mit Christus, dem Menschen par excellence, der eins ist mit Gott, wird die Welt so, wie wir alle sie ersehnen: Spiegel der göttlichen Liebe. Diese Dynamik ist immer in der Eucharistie gegenwärtig. Diese Dynamik muss unser Leben inspirieren und formen. Und mit dieser Dynamik beginnen wir das neue Jahr. Danke für eure Geduld.

[deutsche Zusammenfassung:]

Liebe Brüder und Schwestern!

In dieser ersten Generalaudienz des neuen Jahres setzen wir die Katechesen über den heiligen Paulus fort. Das heutige Thema handelt von der Lehre des Apostels über den Gottesdienst. Für Paulus ist Christus mit seinem Kreuzesopfer der neue und wahre Gottesdienst. Der alte, vorläufige Tempelkult mit seinen Tieropfern konnte keine wirkliche Sühne für die menschliche Schuld erbringen. Christus hat als wahrer Gott und Mensch die göttliche Barmherzigkeit und das menschliche Elend zusammengeführt. Ihn hat der Vater „dazu bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut, Sühne, wirksam durch den Glauben", wie Paulus im Römerbrief (3,25) sagt. So ist das Kreuz Christi, der höchste Akt der göttlichen Liebe, der wirkliche Gottesdienst, der der Wahrheit Gottes und des Menschen entspricht. Diese Wirklichkeit umfasst auch das Leben der Gläubigen. Der Apostel fordert dazu auf, sich selbst als „lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist der wahre und angemessene Gottesdienst" (Röm 12,1). Paulus gebraucht hier ein Adjektiv (logikos: vernunft-, geistgemäß), das in seiner Bedeutungsfülle nicht einfach wiedergegeben werden kann. Es geht darum, dass wir Gott mit unserem ganzen Menschsein dienen, in allem den Willen Gottes suchen und so gemäß unserem Glauben und unserer menschlichen Würde leben. Diesen Gottesdienst können wir aber nur in Gemeinschaft mit Christus, in Ihm und mit Ihm, vollziehen. Und in diese Gemeinschaft des Leibes Christi sind alle Menschen gerufen, damit die Welt ein Spiegel der göttlichen Liebe werde.

[Die deutschsprachigen Pilger grüßte der Heilige Vater mit den folgenden Worten:]

Einen herzlichen Gruß richte ich an die deutschsprachigen Pilger und Besucher hier in der Audienzhalle. Euch sowie allen, die über Rundfunk und Fernsehen mit uns verbunden sind, wünsche ich ein gesegnetes Neues Jahr. In Gemeinschaft mit Christus wird unser Weg auch inmitten der unvermeidbaren Schwierigkeiten voll Freude und Zuversicht sein. Der Herr lasse sein Angesicht über euch leuchten und schenke euch seinen Frieden!"

 

 Während der Weihnachtsfeiertage unterbrach der Heilige Vater seine Reihe von Katechesen zum Paulusjahr. Sie wurde erst am 7. Januar 2009 fortgesetzt.

 

„Die Kirche ist Leib, keine Körperschaft"

Kathechese während der Generalaudienz am 10. Dezember 2009

"Liebe Brüder und Schwestern!

Während wir dem heiligen Paulus folgen, haben wir in der Katechese vom vergangenen Mittwoch zweierlei gesehen. Der erste Faktor besteht darin, dass unsere menschliche Geschichte von den Anfängen her durch den Missbrauch der geschaffenen Freiheit verunreinigt ist. Diese hat die Absicht, sich vom göttlichen Willen zu emanzipieren. So findet der Mensch nicht die wahre Freiheit, er widersetzt sich vielmehr der Wahrheit. So werden folglich unsere menschlichen Wirklichkeiten und vor allem die grundlegenden Beziehungen verfälscht: Jene mit Gott, jene zwischen Mann und Frau, jene zwischen dem Menschen und der Erde.

Wir haben gesagt, dass diese Verschmutzung unserer Geschichte sich in deren gesamtem Gewebe ausbreitet und dass dieser ererbte Mangel sich ständig vermehrt und überall sichtbar ist. Das ist der erste Punkt.

Zum Zweiten haben wir vom heiligen Paulus gelernt, dass es einerseits in der Geschichte einen neuen Anfang und andererseits einen neuen Anfang der Geschichte in Jesus Christus gibt, dem Menschen, der Mensch und Gott ist. Mit ihm, der von Gott kommt, beginnt eine neue Geschichte, die durch sein Ja zum Vater Gestalt annimmt, nicht durch den Stolz einer falschen Emanzipation, sondern durch die Liebe und die Wahrheit.

Jetzt aber stellt sich die Frage: Wie können wir in diesen neuen Anfang, in diese neue Geschichte eintreten? Wie kommt es, dass diese neue Geschichte zu mir kommt? Mit der ersten verschmutzten Geschichte sind wir unvermeidlich durch unsere biologische Abstammung verbunden, insofern wir alle zum einzigen Körper der einen Menschheit gehören. Die Gemeinschaft aber mit Jesus, die neue Geburt, die neue Menschheit - wie verwirklicht sie sich? Wie kommt Jesus in mein Leben, in mein Sein?

Die grundlegende Antwort des heiligen Paulus und des ganzen Neuen Testaments lautet: Durch den Heiligen Geist. Wenn die erste Geschichte sozusagen durch die Biologie eintrifft, so geschieht die zweite durch den Heiligen Geist, den Geist des auferstandenen Christus. Dieser Geist hat an Pfingsten den Anfang der neuen Menschheit geschaffen, der neuen Gemeinde, der Kirche, des Leibes Christi.

Wir müssen jedoch noch konkreter sein: Wie kann dieser Geist Christi, der Heilige Geist, zu meinem Geist werden? Die Antwort artikuliert sich auf drei unterschiedliche Weisen, die zuinnerst miteinander verbunden sind.

Zunächst klopft der Geist Christi an die Tür meines Herzens, er berührt mich innerlich. Da aber die neue Menschheit ein wahrer Leib sein muss, da der Geist uns vereinen und wirklich eine Gemeinschaft gründen soll, da gerade das Sein des neuen Anfangs darin besteht, die Spaltungen zu überwinden und die Verstreuten zusammenzuführen, bedient sich dieser Geist Christi zweier sichtbarer Elemente des Vereinens: Des Wortes - so der Verkündigung - und der Sakramente, besonders der Sakramente der Taufe und der Eucharistie.

Im Brief an die Römer schreibt der heilige Paulus: „Wenn du mit deinem Mund bekennst: ‚Jesus ist der Herr’ und in deinem Herzen glaubst: ‚Gott hat ihn von den Toten auferweckt’, so wirst du gerettet werden“ (Röm 10,9), das heißt in die neue Geschichte eintreten, die Geschichte des Lebens und nicht des Todes ist.

Dann aber fährt der heilige Paulus fort: „Wie sollen sie nun den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie hören, wenn niemand verkündigt? Wie soll aber jemand verkündigen, wenn er nicht gesandt ist? Darum heißt es in der Schrift: Wie sind die Freudenboten willkommen, die Gutes verkündigen!“ (Röm 10,14-15).

In einem anderen Text sagt er kurz: Der Glaube kommt vom Hören. Das will heißen: Der Glaube ist kein Produkt unseres Denkens, unserer Reflexion, er ist vielmehr etwas Neues, das wir nicht erfinden, sondern nur als Geschenk empfangen können, als eine von Gott gemachte Neuheit.

Ferner kommt der Glaube nicht vom Lesen, sondern vom Hören. Er ist nicht nur etwas Innerliches, sondern eine Beziehung. Er setzt eine Begegnung zwischen dem Verkünder und dem Verkündeten, er setzt das Dasein des anderen voraus, der verkündet und Gemeinschaft schafft.

Und schließlich: Wer verkündet, spricht nicht aus sich selbst heraus, sondern ist gesandt. Er befindet sich in einer Struktur der Sendung, die bei Jesus beginnt, der vom Vater gesandt ist, auf die Apostel übergeht - das Wort „Apostel" bedeutet „der Gesandte" - und sich in der von den Aposteln überlieferten Sendung fortsetzt. Das neue Gewebe der Geschichte tritt in dieser Struktur der Sendung hervor, in der wir im Letzten Gott selbst sprechen hören. Sein persönliches Wort, der Sohn, spricht mit uns, er kommt in uns.

Das Wort ist in Jesus Fleisch geworden, um wirklich eine neue Menschheit zu schaffen. Daher wird das Wort der Verkündigung in der Taufe Sakrament: Neue Geburt aus dem Wasser und dem Geist, wie der heilige Johannes später sagen wird.

Im sechsten Kapitel des Briefes an die Römer spricht der heilige Paulus auf sehr tiefgründige Weise über die Taufe. Wir haben den Text bereits gehört. Vielleicht aber wäre es nützlich, ihn zu wiederholen: „Wisst ihr denn nicht, dass wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben" (Röm 6,3-4).

In dieser Katechese kann ich mich natürlich nicht mit einer detaillierten Interpretation dieses nicht leichten Textes auseinandersetzen. Ich möchte nur kurz drei Dinge anmerken.

Als erstes: Das Verbum „taufen" ist ein Passiv; keiner kann sich selbst taufen, er braucht den anderen. Keiner kann sich selbst zum Christen machen, Christwerden ist ein Passiv. Nur durch den anderen können wir zu Christen gemacht werden.

Dieser andere, der uns zu Christen macht, uns das Geschenk des Glaubens gibt, ist in erster Instanz die Gemeinschaft der Gläubigen der Kirche. Von der Kirche empfangen wir den Glauben und die Taufe, und ohne uns von dieser Gemeinschaft formen zu lassen, werden wir nicht zu Christen. Ein autonomes, selbst gemachtes Christentum ist ein Widerspruch in sich.

In zweiter Instanz handelt auch diese Gemeinschaft nicht von sich aus, entsprechend der eigenen Vorstellungen und Wünsche. Auch diese Gemeinschaft lebt in demselben Passiv: Nur Christus kann die Kirche bilden. Christus ist der wahre Spender der Sakramente.

Zum Zweiten: Die Taufe ist mehr als nur Waschung. Sie ist Tod und Auferstehung. Paulus selbst beschreibt im Brief an die Galater die Wende seines Lebens, die sich in der Begegnung mit dem auferstandenen Christus verwirklicht hat, mit dem Wort: „Ich bin gestorben." Von diesem Moment an beginnt wirklich ein neues Leben. Christ werden ist mehr als eine kosmetische Operation, die etwas Schönes einer bereits mehr oder minder vollständigen Existenz hinzufügt. Es ist ein neuer Anfang, eine Wiedergeburt, Tod und Auferstehung. Natürlich steht in der Auferstehung das auf, was im vorhergehenden Dasein gut war.

Und zum Dritten: Die Materie ist Teil des Sakraments. Das Christentum ist nichts rein Geistliches, es schließt den Leib, den Kosmos ein. Es weitet sich nach neuen Landen und neuen Himmeln aus.

Kehren wir nun zum letzten Wort des Textes des heiligen Paulus zurück, der da sagt: So können wir in einem neuen Leben voranschreiten. Das ist ein Element der Gewissenserforschung für uns alle: In einem neuen Leben voranschreiten.

Kommen wir jetzt zum Sakrament der Eucharistie. Ich habe schon in anderen Katechesen gezeigt, mit welch tiefer Ehrfurcht der heilige Paulus die Überlieferung zur Eucharistie wörtlich weitergibt, die er von den Zeugen des letzten Abendmahls selbst empfangen hat. Er überliefert diese Worte als einen kostbaren Schatz, der seiner Treue anvertraut wurde. So hören wir in diesen Worten wirklich die Augen- und Ohrenzeugen der letzen Nacht.

Hören wir daher die Worte des Apostels. Er sagt: „Denn ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe: Jesus, der Herr, nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis! Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sprach: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut. Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis!" (1 Kor 11,23-25).

Dies ist ein unerschöpflicher Text, auch hierzu in dieser Katechese nur zwei kurze Bemerkungen. Paulus überliefert die Worte des Herrn über den Kelch: Dieser Kelch „ist der neue Bund in meinem Blut". In diesen Worten ist ein Hinweis auf zwei grundlegende Texte des Alten Testaments verborgen.

Zunächst auf die Verheißung eines neuen Bundes im Buch des Propheten Jeremias. Jesus sagt seinen Jüngern und uns: Jetzt, in dieser Stunde verwirklicht sich mit mir und meinem Tod der neue Bund, und in meinem Blut nimmt diese neue Geschichte der Menschheit ihren Anfang.

Es ist aber in diesen Worten auch ein Hinweis auf den Bund des Sinai zu finden, als Moses sagte: „Siehe, das Blut des Bundes, den der Herr mit euch auf der Grundlage dieser Worte geschlossen hat." Hier handelte es sich um das Blut von Tieren. Das Tierblut konnte allein eine Geste des Wunsches sein, eine Erwartung des wahren Opfers, des wahren Kultes.

Mit dem Geschenk des Kelches schenkt uns der Herr das wahre Opfer. Das einzige wahre Opfer ist die Liebe des Sohnes. Mit dem Geschenk dieser Liebe, die ewige Liebe ist, tritt die Welt in den neuen Bund ein. Die Feier der Eucharistie bedeutet: Christus gibt uns sich selbst, seine Liebe, um uns ihm gleichförmig zu machen und um so die neue Welt zu schaffen.

Ein zweiter wichtiger Aspekt der Lehre über die Eucharistie erscheint im ersten Brief des heiligen Paulus an die Korinther, wo er sagt: „Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot" (1Kor 10,16-17).

In diesen Worten tritt in gleicher Weise der personale und soziale Charakter des Sakraments der Eucharistie hervor. Christus vereint sich persönlich mit einem jeden von uns. Derselbe Christus jedoch vereint sich auch mit dem Mann und der Frau neben mir, er ist Brot für mich und für den anderen, und so vereint er uns alle mit sich und einen jeden von uns mit dem anderen.

Wir empfangen in der Kommunion Christus; Christus vereint sich jedoch auf dieselbe Weise mit meinem Nächsten, Christus und der Nächste sind in der Eucharistie untrennbar: Ein Brot, ein Leib sind wir alle. Eucharistie ohne Solidarität mit den anderen ist eine missbrauchte Eucharistie.

Hier stehen wir gleichzeitig an der Wurzel und am Mittelpunkt der Lehre von der Kirche als Leib des auferstandenen Christus. Wir sehen hier den ganzen Realismus dieser Lehre. Christus schenkt uns in der Eucharistie seinen Leib, er gibt sich selbst in seinem Leib. So macht er aus uns seinen Leib, er vereint uns mit seinem auferstandenen Leib.

Isst man normales Brot, so wird dieses durch den Vorgang der Verdauung Teil des eigenen Leibes, insofern das Brot in Substanz für das menschliche Leben verwandelt wird. In der heiligen Kommunion jedoch verwirklicht sich der umgekehrte Prozess: Christus, der Herr, nimmt uns in sich auf, er führt uns in seinen glorreichen Leib ein. So werden wir alle zusammen sein Leib.

Wer nur das zehnte Kapitel des Briefes an die Römer liest, könnte meinen, dass die Rede vom Leib Christi als Organismus der Charismen nur eine Art soziologisch-theologisches Gleichnis ist.

In der Tat wurde das Gleichnis vom Leib und seinen Gliedern in der römischen Politologie als Gleichnis für den Staat benutzt, um zu sagen, dass der Staat ein Organismus ist, in dem jeder seine Aufgabe hat und die Vielfalt der Funktionen einen Leib bildet, in dem ein jeder seinen Platz einnimmt. Es könnte also der Eindruck entstehen, dass Paulus dies nur auf die Kirche übertrage und es sich auch hier nur um eine Soziologie der Kirche handle.

Betrachten wir jedoch dieses zehnte Kapitel, so stellen wir fest, dass die Wirklichkeit der Kirche ganz anders ist, viel tiefer und wahrer als jene eines Staatsorganismus. Denn Christus gibt wirklich seinen Leib und macht aus uns seinen Leib. Wir werden wirklich mit dem auferstandenen Leib Christi und so miteinander vereint. Die Kirche ist nicht nur einen Körperschaft wie der Staat, sie ist ein Leib, keine Organisation, sondern ein Organismus.

Zum Schluss nur ein kurzes Wort zum Sakrament der Ehe.

Im ersten Brief an die Korinther finden sich nur einige Andeutungen, während der Brief an die Epheser wirklich eine tiefe Theologie der Ehe entfaltet. Paulus definiert hier die Ehe als das „große Geheimnis" (Eph 6,32) in Bezug auf Christus und seine Kirche.

In diesem Abschnitt bemerken wir eine Reziprozität in vertikaler Richtung. Die gegenseitige Ergebenheit muss die Sprache der Liebe benutzen, die ihr Vorbild in der Liebe Christi zur Kirche hat. Diese Beziehung Christi zur Kirche macht dem theologalen Aspekt der ehelichen Liebe vorrangig und erhöht die affektive Beziehung unter den Eheleuten.

Eine echte Ehe wird gut gelebt werden, wenn sie im steten menschlichen und affektiven Wachsen immer an das Wirken des Wortes und an den Sinn der Taufe gebunden bleibt.

Christus hat die Kirche geheiligt, indem er sie mit Wasser und dem Wort gereinigt hat. Die Teilhabe am Leib und am Blut des Herrn bewirkt nichts anderes, als eine durch Gnade unauflöslich gemachte Verbindung sichtbar zu machen und darüber hinaus zu stärken.

Abschließend hören wir die Worte des heiligen Paulus an die Philipper: „Der Herr ist nahe" (Phil 4,5). Durch das Wort und durch die Sakramente ist uns der Herr unser ganzes Leben hindurch nahe. Bitten wir ihn, dass wir immer mehr im Innersten unseres Seins von dieser seiner Nähe berührt werden können und dass die Freude entbrenne, die dort entflammen muss, wo Jesus wirklich nahe ist!

[deutsche Zusammenfassung:]

Liebe Brüder und Schwestern!

Die Lehre des heiligen Paulus über Christus als unseren Erlöser führt uns zur Frage, wie die Erlösung zu uns gelangt. Das Heil ist Ergebnis des Zusammenwirkens der Gnade Gottes und unseres freien Einverständnisses durch unseren Glauben.

Der Glaube, der in der Verkündigung des Wortes Christi gründet, bewirkt eine „neue Schöpfung". Diese nimmt in der Gemeinschaft der Gläubigen Gestalt an. Paulus entfaltet hier eine sakramentale Sicht der Heilsordnung. In den Sakramenten kommt die grundlegende Dynamik der Wirksamkeit des Wortes Gottes zur Ausführung.

Am Anfang steht die Taufe, die den gläubigen Menschen in die Kirche als den mystischen Leib Christi eingliedert und am Tod und an der Auferstehung des Herrn teilhaben läßt. So ist sie Beginn und Keim des neuen Lebens in Christus: Die Gläubigen haben gleichsam Christus angezogen, werden in Ihm zu einer „neuen Schöpfung" und erneuert durch den Heiligen Geist.

Der Getaufte ist dann aufgerufen, die Gemeinschaft mit Christus - und durch Ihn mit seinem Leib, der Kirche - im Sakrament der Eucharistie zu leben. Jesus Christus hat die Eucharistie am Vorabend seines Leidens und Sterbens eingesetzt, zum Zeichen seiner Hingabe für uns. Er gibt sich selbst, damit wir zu einem einzigen Leib werden, indem wir an dem einen Brot teilhaben.

Schließlich entwickelt Paulus die christliche Ehe als lebendiges Bild der Gemeinschaft zwischen Christus und seiner Kirche. Zum einen ist die Ehe ein Geschenk und ein Zeichen dessen, dass Mann und Frau einander gehören. Zum anderen ist sie ein tiefes Geheimnis in bezug auf die Liebe Christi zur Kirche.

Die Ehe gelingt, wenn sie mit dem wirksamen Wort Gottes und der Bedeutung der Taufe verbunden bleibt und wenn ihr Bund durch die Teilhabe am Leib und am Blut des Herrn gefestigt wird.

 

[ZENIT-Übersetzung des italienischen Originals; © Copyright 2008 - Libreria Editrice Vaticana]

 

 





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