Benedikt XVI. - Kathechesen zum Paulusjahr
Benedikt XVI. - Kathechesen zum Paulusjahr






 

Papst Benedikt XVI.:

Katechesen zum Paulusjahr.

Teil I. (2. Juli- 10. Sep.2008)

 

 "Zu Aposteln werden"

Katechese während der Generalaudienz am 10. September 2008 

"Liebe Brüder und Schwestern!

Am vergangenen Mittwoch habe ich über die große Wende gesprochen, die sich im Leben des heilige Paulus nach seiner Begegnung mit Christus zugetragen hat. Jesus trat in sein Leben ein und machte den Verfolger zum Apostel. Jene Begegnung markierte den Beginn seiner Sendung: Paulus konnte nicht so weiterleben wie vorher; jetzt fühlte er sich vom Herrn mit dem Auftrag versehen, sein Evangelium als Apostel zu verkünden.

Gerade über diese seine neue Lebensform, das heißt über sein Sein als Apostel Christi, möchte ich heute sprechen. Normalerweise identifizieren wir dem Evangelium folgend die Zwölf mit dem Titel „Apostel“ und beabsichtigen so jene anzuzeigen, die die Gefährten im Leben und die Hörer der Lehre Jesu waren. Aber auch Paulus empfindet sich als wahrer Apostel, und es tritt daher deutlich zutage, dass sich der paulinische Begriff des Apostolats nicht auf die Gruppe der Zwölf beschränkt. Natürlich versteht es Paulus wohl, seinen eigenen Fall von jenem derer zu unterscheiden, die „vor ihm Apostel waren“ (vgl. Gal 1,17): ihnen wird ein ganz besonderer Platz im Leben der Kirche zuerkannt. Und dennoch: wie alle wissen, interpretiert Paulus sich selbst als Apostel im engen Sinn. Gewiss ist, dass keiner zur Zeit der Anfänge des Christentums so viele Kilometer hinter sich brachte wie er, zu Land und zu Wasser, mit dem einzigen Ziel, das Evangelium zu verkünden.

Er hatte also einen Begriff von Apostolat, der über jenen hinausging, der nur an die Gruppe der Zwölf gebunden war und vor allem vom heiligen Lukas in der Apostelgeschichte überliefert ist (vgl. Apg 1,2.26; 6,2). In der Tat, im ersten Brief an die Korinther unterscheidet Paulus zwischen „den Zwölf“ und „allen Aposteln“, die als zwei unterschiedliche Gruppen erwähnt werden, denen die Erscheinungen des Auferstandenen zuteil wurden (vgl. 14,5.7). Im selben Text geht er dann dazu über, sich selbst demütig als den „geringsten von den Aposteln“ zu bezeichnen und sich dabei sogar mit einer Missgeburt zu vergleichen und wörtlich zu behaupten: „Ich bin nicht wert, Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe. Doch durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und sein gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben. Mehr als sie alle habe ich mich abgemüht – nicht ich, sondern die Gnade Gottes zusammen mit mir“ (1 Kor 15,9-10). Die Metapher von der Missgeburt bringt eine äußerste Demut zum Ausdruck; sie wird sich auch im Brief an die Römer des heiligen Ignatius von Antiochia finden: „Ich bin der letzte von allen, ich bin eine Missgeburt; aber mir wird es gestattet sein, etwas zu sein, wenn ich Gott erreichen werde“ (9,2). Das, was der Bischof von Antiochia hinsichtlich seines bevorstehenden Martyriums sagen wird, wobei er voraussieht, dass es sein unwürdiges Sein umwerfen wird, sagt der heilige Paulus hinsichtlich seines apostolischen Einsatzes: in ihm zeigt sich die Fruchtbarkeit der Gnade Gottes, die es versteht, einen schlecht gelungenen Menschen in einen wunderbaren Apostel zu verwandeln. Vom Verfolger zum Gründer von Kirchen: das hat Gott in einem gewirkt, der unter dem Gesichtspunkt des Evangeliums als ein Ausschuss angesehen hätte werden können!

Was ist also nach der Konzeption des heiligen Paulus das, was aus ihm und anderen einen Apostel macht? In seinen Briefen treten drei Hauptmerkmale hervor, die einen Apostel ausmachen. Erstens muss er „den Herrn gesehen“ haben (vgl. 1 Kor 9,1), das heißt er muss mit ihm eine Begegnung gehabt haben, die für sein Leben bestimmend war. In ähnlicher Weise wird er im Brief an die Galater (vgl. 1,15-16) sagen, durch die Gnade Gotte mit der Offenbarung seines Sohnes für die Verkündigung der Frohbotschaft an die Heiden berufen, ja fast auserwählt worden zu sein. Letztendlich ist es der Herr, der einen zum Apostel macht, nicht die eigene Anmaßung. Der Apostel macht sich nicht allein dazu, sondern wird dazu vom Herrn gemacht: der Apostel muss somit ständig in eine Beziehung mit dem Herrn treten. Nicht umsonst sagt Paulus, „zum Apostel berufen“ zu sein (vgl. Röm 1,1), das heißt „nicht von Menschen oder durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und durch Gott, den Vater“ (Gal 1,1). Dies ist das erste Merkmal: den Herrn gesehen zu haben, von ihm berufen zu sein.

Die zweite Charakteristik besteht darin, „ausgesandt worden zu sein“. Das griechische Wort apóstolos bedeutet eben „Ausgesandter, Geschickter“, das heißt Bote oder Überbringer einer Botschaft; er muss somit als Beauftragter oder Vertreter eines Auftraggebers handeln. Aus diesem Grund definiert sich Paulus als „Apostel Christi Jesu“ (1 Kor 1,1; 2 Kor 1,1), das heißt als sein Delegierter, der ganz in seinem Dienst steht, so sehr, dass er sich auch „Knecht Christi Jesu“ nennt (Röm 1,1). Wieder tritt die Vorstellung der Initiative durch einen anderen in den Vordergrund, die Initiative Gottes in Jesus Christus, dem gegenüber man völlig in der Pflicht steht; vor allem aber wird die Tatsache hervorgehoben, dass von ihm eine Sendung empfangen wurde, die in seinem Namen zu erfüllen ist, während jedes persönliche Interesse absolut in den Hintergrund zu treten hat.

Die dritte Voraussetzung besteht in der Tätigkeit der „Verkündigung des Evangeliums“ mit der anschließenden Gründung von Kirchen. „Apostel“ nämlich kann und darf kein reiner Ehrentitel sein. Er nimmt konkret und auch auf dramatische Weise das ganze Dasein des Betroffenen in die Pflicht. Im ersten Brief an die Korinther ruft Paulus aus: „Bin ich nicht ein Apostel? Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen? Seid ihr nicht mein Werk im Herrn?“ (9,1). In ähnlicher Weise sagt er im zweiten Brief an die Korinther: „Unser Empfehlungsschreiben seid ihr… Unverkennbar seid ihr ein Brief Christi, ausgefertigt durch unseren Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes“ (3,2-3).

Es verwundert also nicht, wenn Chrysostomus von Paulus als einer „diamantenen Seele“ spricht (Sermones Panegyrici in Solemnitates, 1,8) und fortfährt: „In derselben Weise, wie das Feuer durch weiteres Brennmaterial stärker wird…, so führte das Wort des Paulus alle jene seinem Anliegen zu, mit denen er in eine Beziehung trat, und jene, die ihn anfeindeten – einmal von seinen Reden ergriffen – wurden zur Nahrung dieses geistlichen Feuers (ebd. 7,11). Dies erklärt, warum Paulus die Apostel als „Gottes Mitarbeiter” (1 Kor 3,9; 2 Kor 6,1) bestimmt, dessen Gnade in ihnen wirkt. Ein typisches Element des wahren Apostels, das der heilige Paulus gut ins Licht setzt, ist eine Art der Identifikation zwischen dem Evangelium und dem Evangelisierenden, denen beiden dasselbe Schicksal bestimmt ist. Niemand hat wie Paulus betont, dass die Verkündigung des Kreuzes Christi als ein „empörendes Ärgernis und eine Torheit“ (1 Kor 1,23) erscheint, auf die viele mit Unverständnis und Ablehnung reagieren. Dies geschah zu jener Zeit, und es darf nicht verwundern, dass Gleiches auch heute geschieht. An diesem Schicksal, als „empörendes Ärgernis und Torheit“ zu erscheinen, hat also der Apostel Anteil und Paulus weiß es: das ist die Erfahrung seines Lebens. Den Korinthern schreibt er nicht ohne einen ironischen Unterton: „Ich glaube nämlich, Gott hat uns Apostel auf den letzten Platz gestellt, wie Todgeweihte; denn wir sind zum Schauspiel geworden für die Welt, für Engel und Menschen. Wir stehen als Toren da um Christi willen, ihr dagegen seid kluge Leute in Christus. Wir sind schwach, ihr seid stark; ihr seid angesehen, wir sind verachtet. Bis zur Stunde hungern und dürsten wir, gehen in Lumpen, werden mit Fäusten geschlagen und sind heimatlos. Wir plagen uns ab und arbeiten mit eigenen Händen; wir werden beschimpft und segnen; wir werden verfolgt und halten stand; wir werden geschmäht und trösten. Wir sind sozusagen der Abschaum der Welt geworden, verstoßen von allen bis heute“ (1 Kor 4,9-13). Es ist dies ein Selbstbildnis des apostolischen Lebens des heiligen Paulus: in all diesen Leiden ist die Freude vorwiegend, Überbringer des Segens Gottes und der Gnade des Evangeliums zu sein.

Paulus teilt im Übrigen mit der stoischen Philosophie seiner Zeit die Vorstellung von einer hartnäckigen Standhaftigkeit in allen sich einstellenden Schwierigkeiten; aber er überwindet die rein humanistischen Perspektive und ruft daher das Element der Liebe Gottes und Christi auf den Plan: „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? In der Schrift steht: Um deinetwillen sind wir den ganzen Tag dem Tod ausgesetzt; wir werden behandelt wie Schafe, die man zum Schlachten bestimmt hat. Doch all das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Röm 35-39). Dies ist die Gewissheit, die tiefe Freude, die den Apostel Paulus in all diesen Begebenheiten führt: nichts kann uns von der Liebe Gottes trennen. Und diese Liebe ist die wahre Liebe des menschlichen Lebens.

Wie man sieht, hatte sich der heilige Paulus dem Evangelium mit seinem ganzen Dasein geschenkt; wir könnten sagen den ganzen Tag lang, ohne Unterbrechung! Und er erfüllte seinen Dienst in Treue und Freude, „um auf jeden Fall einige zu retten“ (1 Kor 9,22). Und obwohl er wusste, dass er mit ihnen in einer Vaterbeziehung (vgl. 1 Kor 4,15), wenn nicht gar in einer Mutterbeziehung (Gal 4,19) stand, stellte er sich den Kirchen gegenüber in eine Haltung des restlosen Dienstes und erklärte so in bewundernswerter Weise: „Wir wollen ja nicht Herren über euren Glauben sein, sondern wir sind Helfer zu eurer Freude“ (2 Kor 1,24). Dies bleibt die Sendung aller Apostel Christi zu allen Zeiten: Mitarbeiter an der wahren Freude zu sein.

[Es folgte die deutschsprachige Zusammenfassung:]

Liebe Brüder und Schwestern

Seit einigen Wochen spreche ich in den Katechesen der Generalaudienz über den heiligen Paulus, den wir als Apostel verehren. Wir wissen aber, dass Paulus nicht zum Kreis der Zwölf gehört, von deren Berufung das Evangelium berichtet und die nach der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu im Abendmahlssaal den Heiligen Geist empfangen haben. Wie kann sich Paulus dennoch voll Überzeugung als Apostel bezeichnen, auch wenn er anmerkt, dass er als ehemaliger Verfolger der Kirche Gottes der geringste von den Aposteln ist? Was macht für Paulus einen Apostel aus?

Aus seinen Briefen können wir drei Hauptmerkmale eines Apostels herauslesen: Erstens, dass er Jesus, den Herrn, gesehen hat (vgl. 1 Kor 9,1) und durch ihn zum Apostel berufen wurde. Zweitens, dass er von Christus als Botschafter seiner Person und seines Evangeliums ausgesandt wurde, wie es schon das Wort apóstolos (Gesandter) ausdrückt. Und schließlich ist ein Apostel jemand, der das Evangelium verkündet und dadurch die Kirche an verschiedenen Orten begründet. An Paulus sehen wir besonders deutlich, dass „Apostel“ kein leerer Ehrentitel ist, sondern die Sendung beinhaltet, „Mitarbeiter Gottes“ zu sein und sich inmitten vieler Schwierigkeiten, Angriffe und Verfolgungen unermüdlich für das Heil der Menschen einzusetzen.

[Die deutschsprachigen Pilger grüßte der Heilige Vater mit den folgenden Worten:]

Einen herzlichen Gruß richte ich an alle Pilger und Besucher aus dem deutschen Sprachraum. Besonders begrüße ich die Priester und kirchlichen Mitarbeiter aus dem Erzbistum München und Freising in Begleitung von Kardinal Friedrich Wetter. Die Kirche braucht auch heute leidenschaftliche Verkünder der Frohbotschaft Christi, die sich voll Einsatz und ohne Vorbehalte von Gott in den Dienst nehmen lassen. Das Beispiel des heiligen Paulus sporne uns an, wirksame Werkzeuge der Gnade Gottes zu sein. Der Herr segne euch alle.

 

"Das Damaskus-Ereignis"

Katechese während der Generalaudienz am 3. September 2008

"Liebe Brüder und Schwestern!

Die heutige Katechese werden wir der Erfahrung widmen, die dem hl. Paulus auf dem Weg nach Damaskus zuteil wurde und allgemein seine Bekehrung genannt wird. Gerade auf dem Weg nach Damaskus, in den ersten Jahren der 30er-Jahre des ersten Jahrhunderts und nach einer Zeit, in der er die Kirche verfolgt hatte, kam es zum entscheidenden Moment im Leben des Paulus. Über diesen ist viel und natürlich unter verschiedenen Gesichtspunkten geschrieben worden. Sicher ist, dass sich dort eine Wende, ja eine völlige Umstellung seiner Sichtweise ereignete. So begann er aufeinmal, all das als „Verlust“ und „Unrat“ anzusehen, was vorher für ihn sein größtes Ideal, beinahe die Grundlage seiner Existenz darstellte (vgl. Phil 3,7-8). Was war geschehen?

Hierzu haben wir zweierlei Arten von Quellen. Die erste und bekanntere Quelle besteht aus den Erzählungen, die wir Lukas verdanken, der in der Apostelgeschichte dreimal von dem Ereignis berichtet (vgl. 9,1-19; 22,3-21; 26,4-23). Der Durchschnittsleser ist vielleicht versucht, sich zu sehr bei einigen Details aufzuhalten, wie dem Licht vom Himmel, dem Fall auf den Boden, die Stimme, die ruft, die neue Situation der Blindheit, die Heilung, als vielen Schuppen von den Augen, und das Fasten. All diese Details aber beziehen sich auf den Mittelpunkt des Geschehens: der auferstandene Christus erscheint wie ein glänzendes Licht und spricht zu Saulus, er verwandelt sein Denken und sein Leben. Der Glanz des Auferstandenen lässt ihn erblinden: so tritt auch äußerlich das hervor, was seine innere Wirklichkeit war, seine Blindheit gegenüber der Wahrheit, dem Licht, das Christus ist. Und dann öffnet sein endgültiges „Ja“ zu Christus in der Taufe neu seine Augen, es lässt ihn wirklich sehen.

In der alten Kirche wurde die Taufe auch „Erleuchtung“ genannt, da dieses Sakrament das Licht schenkt, wirklich sehen lässt. Was so theologisch zum Ausdruck gebracht wird, verwirklicht sich in Paulus auch leiblich: nach der Genesung von seiner inneren Blindheit sieht er gut. Der hl. Paulus wurde also nicht von einem Gedanken, sondern von einem Ereignis verwandelt, von der unwiderstehlichen Gegenwart des Auferstandenen, an der er in der Folge nie zweifeln können wird, so stark war die Offensichtlichkeit des Ereignisses, dieser Begegnung gewesen. Sie änderte grundlegend das Leben des Paulus; in diesem Sinn kann und muss von einer Bekehrung gesprochen werden. Diese Begegnung steht im Mittelpunkt der Erzählung des hl. Lukas, der – was möglich ist – einen Bericht benutzt hat, der wahrscheinlich in der Gemeinde von Damaskus entstanden ist. Daran lässt die örtliche Einfärbung denken, die sich aus der Gegenwart des Hananias und der Namen sowohl der Straße als auch des Eigentümers des Hauses ergibt, wo Paulus wohnte (vgl. Apg 9,11).

Die zweite Art von Quelle über die Bekehrung bilden die Paulusbriefe. Er hat nie im besonderen über dieses Ereignis gesprochen, da er, so denke ich, vielleicht voraussetzen konnte, dass alle vom Wesentlichen dieser seiner Geschichte Kenntnis hatten, da alle wussten, dass er vom Verfolger in einen glühenden Apostel Christi verwandelt worden war. Und dazu war es nicht infolge eines eigenen Nachdenkens gekommen, sondern eines starken Ereignisses, einer Begegnung mit dem Auferstandenen. Auch wenn er nicht von den Details spricht, spielt er verschiedene Male auf diese so wichtige Tatsache an, das heißt: dass auch er Zeuge der Auferstehung Jesu ist, deren Offenbarung er unmittelbar von Jesus Christus selbst empfangen hat, zusammen mit der Sendung als Apostel. Der diesbezüglich klarste Text findet sich in seiner Erzählung über das, was den Mittelpunkt der Heilsgeschichte bildet: der Tod und die Auferstehung Jesu und die Erscheinungen vor den Zeugen (vgl.1 Kor 15). Mit Worten der ältesten Überlieferung, die auch er von der Kirche von Jerusalem empfangen hat, sagt er, dass der gestorbene, gekreuzigte, begrabene und auferstandene Jesus zuerst dem Kephas, das heißt Petrus, und dann den Zwölf und dann den fünfhundert Brüdern erschienen war, die zum Großteil in jener Zeit noch lebten, dann dem Jakobus, dann allen Aposteln. Und dieser von der Überlieferung empfangenen Erzählung fügt er hinzu: „Als Letztem von allen erschien er auch mir“ (1 Kor 15,8). So lässt er verstehen, dass dies das Fundament seines Apostolates und seines neuen Lebens ist. Es gibt noch andere Texte, in denen dasselbe vom Vorschein kommt: „Durch Jesus Christus haben wir Gnade und Apostelamt empfangen“ (vgl. Röm 1,5); und weiter: „Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen?“ (1 Kor 9,1). Worte, mit denen er auf etwas anspielt, das alle wissen. Und schließlich ist der am meisten verbreitete Text in Gal 1,15-17 zu lesen: „Als aber Gott, der mich schon im Mutterleib auserwählt und durch seine Gnade berufen hat, mir in seiner Güte seinen Sohn offenbarte, damit ich ihn unter den Heiden verkündige, da zog ich keinen Menschen zu Rate; ich ging auch nicht sogleich nach Jerusalem hinauf zu denen, die vor mir Apostel waren, sondern zog nach Arabien und kehrte dann wieder nach Damaskus zurück.“ In dieser „Selbstverteidigung“ hebt er entschieden hervor, dass auch er wahrer Zeuge des Auferstandenen ist und eine eigene Sendung hat, die er unmittelbar vom Auferstandenen empfangen hat.

So können wir sehen, dass die beiden Quellen, die Apostelgeschichte und die Paulusbriefe, im grundlegenden Punkt übereinkommen und übereinstimmen: der Auferstandene hat zu Paulus gesprochen; er hat ihn zum Apostolat berufen, er hat aus ihm einen wahren Apostel gemacht, einen Zeugen der Auferstehung, mit dem besonderen Auftrag, das Evangelium den Heiden zu verkünden, der griechisch-römischen Welt. Und gleichzeitig hat Paulus gelernt, dass er trotz der Unmittelbarkeit seiner Beziehung mit dem Auferstandenen in die Gemeinschaft der Kirche eintreten muss, dass er sich taufen lassen und in Einklang mit den anderen Aposteln leben muss. Nur in dieser Gemeinschaft mit allen wird er ein wahrer Apostel sein können, wie er ausdrücklich im ersten Brief an die Korinther schreibt: „Ob nun ich verkündige oder die anderen: das ist unsere Botschaft, und das ist der Glaube, den ihr angenommen habt“ (15,11). Es gibt eine einzige Verkündigung des Auferstandenen, denn Christus ist einer allein.

Wie man sieht, interpretiert Paulus an all diesen Stellen diesen Moment nie als einen Tatbestand der Bekehrung. Warum? Darüber gibt es viele Hypothese, aber für mich ist der Grund sehr deutlich. Diese Wende seines Lebens, diese Verwandlung seines ganzen Seins war nicht das Ergebnis eines psychologischen Prozesses, einer intellektuellen und moralischen Reifung oder Evolution, sondern sie kam von außen: sie war nicht Ergebnis seines Denkens, sondern der Begegnung mit Jesus Christus. In diesem Sinne handelte es sich nicht einfach um eine Bekehrung, um ein Reifen seines „Ich“, sondern es war Tod und Auferstehung für ihn selbst: eine seiner Existenzen starb, und eine neue entstand daraus mit dem auferstandenen Christus. Auf keine andere Weise kann diese Erneuerung des Paulus erklärt werden. Alle psychologischen Analysen können das Problem weder klären noch lösen. Nur das Ereignis, die starke Begegnung mit Christus, ist der Schlüssel zum Verständnis dessen, was geschehen war: Tod und Auferstehung, Erneuerung kraft dessen, der sich gezeigt und mit ihm gesprochen hatte. In diesem tieferen Sinne können und müssen wir von Bekehrung sprechen. Diese Begegnung ist eine wirkliche Erneuerung, die all seine Maßstäbe geändert hat. Jetzt kann er sagen, dass das, was vorher für ihn wesentlich und grundlegend war, zu „Unrat“ geworden ist; es ist kein „Verdienst“ mehr, sondern Verlust, da nunmehr nur das Leben in Christus zählt.

Dennoch dürfen wir nicht denken, dass Paulus auf diese Weise in ein blindes Ereignis verschlossen worden wäre. Wahr ist das Gegenteil, denn der auferstandene Christus ist das Licht der Wahrheit, das Licht Gottes selbst. Dies hat sein Herz geweitet und es offen für alle gemacht. In diesem Moment hat er nichts von dem verloren, was es an Gutem und Wahrem in seinem Leben, in seinem Erbe gegeben hatte, sondern er hat auf neue Weise die Weisheit, die Wahrheit, die Tiefe des Gesetzes und der Propheten verstanden und hat sich diese auf neue Art angeeignet. Gleichzeitig hat sich seine Vernunft der Weisheit der Heiden geöffnet; da er sich Christus mit ganzem Herzen geöffnet hatte, ist er zu einem breit angelegten Dialog mit allen fähig geworden, fähig, allen alles zu werden. So konnte er wahrhaft der Apostel der Heiden sein.

Wenn wir nun zu uns selbst kommen, so fragen wir uns: was will das für uns besagen? Es will heißen, dass auch für uns das Christentum keine neue Philosophie oder eine neue Morallehre ist. Christen sind wir nur, wenn wir Christus begegnen. Gewiss, er zeigt sich uns nicht auf diese unwiderstehliche, leuchtende Art, wie er es mit Paulus getan hatte, um aus ihm den Apostel aller Völker zu machen. Aber auch wir können Christus begegnen, in der Lektüre der Heiligen Schrift, im Gebet und im liturgischen Leben der Kirche. Wir können das Herz Christi berühren und spüren, dass er das unsrige berührt. Nur in dieser persönlichen Beziehung mit Christus, nur in dieser Begegnung mit dem Auferstandenen werden wir wirklich Christen. Und so öffnet sich unsere Vernunft, es eröffnet sich die ganze Weisheit Christi und der ganze Reichtum der Wahrheit. Bitten wir also den Herrn darum, dass er uns erleuchte, dass er uns auf unsere Weise die Begegnung mit seiner Gegenwart schenke und uns so einen lebhaften Glauben, ein offenes Herz, eine große Liebe für alle gebe, die fähig ist, die Welt zu erneuern.

[deutsche Zusammenfassung:]

Liebe Brüder und Schwestern!

In der Reihe der Katechesen über den heiligen Paulus wollen wir uns heute dem so genannten Damaskuserlebnis zuwenden. Dreimal wird dieses prägende Ereignis in der Apostelgeschichte erzählt. Demnach war Saulus, wie Paulus ursprünglich hieß, mit dem Auftrag unterwegs, die Christen aufzuspüren, zu verhaften und nach Jerusalem zu bringen. In der Nähe von Damaskus wurde er jedoch von einem hellen Licht umstrahlt; er stürzte zur Erde und hörte die Stimme Jesu: „Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“ (Apg 9, 4). Nach der Vision war Paulus erblindet, doch als der Christ Hananias ihm in Damaskus die Hände auflegte, fiel es wie Schuppen von seinen Augen und, vom Heiligen Geist erfüllt, ließ er sich taufen.

Diese ausführliche Erzählung in der Apostelgeschichte steht in einem gewissen Kontrast zu den eher nüchternen Aussagen darüber in den Paulusbriefen. Dort schildert der Völkerapostel keine Einzelheiten und deutet das Ereignis weniger als seine Bekehrung, sondern als eine persönliche Begegnung mit Christus, die ihm den Anstoß gibt, alles Vorherige als Unrat aufzugeben (Phil 3, 8) und stattdessen unermüdlich als Zeuge des Auferstandenen zu wirken.

Paulus zeigt uns die zentrale Bedeutung der Person Christi für unseren Glauben: Ihm ist nicht nur der historische Jesus, sondern der lebendige Christus erschienen. Dieser Christus bestimmt unsere Identität als Christen; in ihm, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, finden wir den tiefsten Sinn unseres Lebens. Wer das erkannt hat, kann diese Wahrheit nicht mehr für sich behalten, er muss sie weitergeben."

 

"Das Leben des Apostels Paulus zeigt die tiefe Notwendigkeit des Evangeliums für uns alle"

Katechese während der Generalaudienz am 27. August 2008

"Liebe Brüder und Schwestern!

In der letzten Katechese vor den Ferien – vor zwei Monaten: Anfang Juli – hatte ich anlässlich des Paulus-Jahres mit einer neuen Themenreihe begonnen und dabei meine Aufmerksamkeit der Welt gewidmet, in der der heilige Paulus lebte. Ich möchte heute diesen Faden wieder aufnehmen und die Betrachtung über das Apostolat des Völkerapostels fortsetzen, indem ich eine kurze Biographie von ihm vorstelle. Da wir den nächsten Mittwoch dem außerordentlichen Ereignis widmen werden, zu dem es auf dem Weg nach Damaskus kam, der Bekehrung des Paulus, der grundlegenden Wende seines Daseins in Folge der Begegnung mit Christus, werden wir uns heute kurz mit seinem gesamten Leben beschäftigen.

Einzelheiten zur Biographie des Paulus liegen uns im Brief an Philemon vor, in dem er sich einen „alten Mann“ nennt (Phlm 9: presbýtes), sowie in der Apostelgeschichte, die ihn im Augenblick der Steinigung des Stephanus als „jungen Mann“ bezeichnet (7,58: neanías). Diese beiden Bezeichnungen sind offensichtlich allgemein gehalten, entsprechend der alten Berechnungen jedoch wurde ein Mann „jung“ genannt, wenn er rund 30 Jahre alt war, während die Bezeichnung „alt“ einen Mann meinte, der rund 60 Jahre erreicht hatte. Absolut gesehen hängt das Geburtsdatum des Paulus zum Großteil von der Datierung des Briefs an Philemon ab. Die Tradition setzt dessen Verfassung in die Zeit während seiner römischen Gefangenschaft, Mitte der 60er-Jahre. Paulus soll im Jahr 8 geboren worden sein – somit wäre er mehr oder weniger 60 Jahre alt gewesen, und bei der Steinigung des Stephanus 30. Dies dürfte die richtige Zeitfolge sein. Und die Feier der Paulus-Jahres, das wir begehen, folgt gerade dieser Chronologie. Das Jahr 2008 ist im Gedanken an die Geburt um das Jahr 8 gewählt worden.

Wie dem auch sei: Er wurde in Tarsus in Zilizien geboren (vgl. Apg 22,3). Diese Stadt war die Verwaltungshauptstadt der Region und hatte im Jahr 51 v. Chr. niemand geringeren als Marcus Tullius Cicero zum Prokconsul, während Tarsus dann zehn Jahre später, 41 v. Chr., der Ort der ersten Begegnung zwischen Marcus Antonius und Cleopatra gewesen war.

Er war ein Diasporajude und sprach Griechisch, obwohl er einen Namen lateinischer Herkunft hatte, der übrigens durch eine Klangähnlichkeit vom ursprünglichen jüdischen Namen Saul/Saulos abstammt, und er hatte das römische Bürgerrecht (vgl. Apg 22,25-28).

Paulus tritt also als ein Mann in Erscheinung, der an der Grenze zu drei verschiedenen Kulturen steht – der römischen, griechischen und jüdischen –, und vielleicht war er auch deshalb zu fruchtbaren universalistischen Öffnungen, zu einer Vermittlung zwischen den Kulturen, zu einer wahren Universalität bereit.

Er erlernte auch ein Handwerk, das vielleicht von seinem Vater her auf ihn überkam und im Beruf des „Zeltmachers“ bestand (vgl. Apg 18,3: skenopoiòs), worunter wahrscheinlich einer zu verstehen ist, der Ziegenrohwolle oder Leinenfasern verarbeitet, um Matten oder Zelte herzustellen (vgl. Apg 20,33-35).

Im Alter von 12 oder 13 Jahren, jenem Alter, in dem ein jüdischer Junge bar mitzvà („Sohn des Gebotes“) wird, verließ Paulus Tarsus und siedelte nach Jerusalem über, um zu Füßen des Rabbi Gamaliel des Alten, einem Neffen des großen Rabbi Hillel, nach den strengsten Normen des Pharisäertums erzogen zu werden und so einen großen Eifer für die mosaische Tora zu entwickeln (vgl. Gal 1,14; Phlm 3,5-6; Apg 22,3; 23,6; 26,5).

Auf der Grundlage dieser tiefen Orthodoxie, die er in der Schule des Hillel in Jerusalem gelernt hatte, erkannte er in der neuen Bewegung, die sich auf Jesus von Nazareth berief, eine Gefahr, eine Bedrohung für die jüdische Identität, für die wahre Orthodoxie der Väter. Dies erklärt die Tatsache, dass er „stolz die Kirche Gottes verfolgte“, wie er dreimal in seinen Briefen zugibt (1 Kor 15,9; Gal 1,13; Phlm 3,6).

Auch wenn es nicht leicht ist, sich konkret vorzustellen, worin diese Verfolgung bestand, war seine Haltung auf jeden Fall eine Haltung der Intoleranz. In diesem Zusammenhang steht das Damaskus-Ereignis, auf das wir in der nächsten Katechese zurückkommen werden. Sicher ist, dass sich von diesem Augenblick an sein Leben änderte und er ein unermüdlicher Apostel des Evangeliums wurde.

In der Tat, Paulus ging in die Geschichte mehr aufgrund dessen ein, was er als Christ, ja mehr noch: als Apostel getan hat, als aufgrund seines Wirkens als Pharisäer. Gewöhnlich wird seine Tätigkeit auf der Grundlage seiner drei Missionsreisen unterteilt, zu der – als vierte – seine Ankunft in Rom als Gefangener dazukommt. Von ihnen allen erzählt Lukas in der Apostelgeschichte. Hinsichtlich der drei Missionsreisen ist jedoch die erste von den beiden anderen zu unterscheiden.

Für die erste (vgl. Apg 13-14) trug Paulus nämlich nicht direkt die Verantwortung; diese wurde vielmehr dem Zyprioten Barnabas anvertraut. Zusammen brachen sie als Gesandte jener Kirche von Antiochia am Orontes auf (vgl. Apg 13,1-3), und nachdem sie vom Hafen von Seleuzia an der syrischen Küste in See gestochen waren, zogen sie durch die Insel Zypern von Salamis nach Paphos; von dort aus erreichten sie die Südküste von Anatolien, der heutigen Türkei, und streiften die Städte Attalìa, Perge in Pamphylien, Antiochia in Pisidien, Ikonion, Lystra und Derbe, von wo aus sie zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrten.

So entstand die Kirche der Völker, die Kirche der Heiden. Und in der Zwischenzeit war vor allem in Jerusalem eine heftige Diskussion entbrannt, bis zu welchem Punkt diese aus dem Heidentum stammenden Christen dazu verpflichtet seien, auch in das Leben und das Gesetz Israels einzutreten (verschiedene Observanzen und Vorschriften, die Israel vom Rest der Welt trennten), um wirklich Anteil zu haben an den Verheißungen der Propheten und um wirksam in das Erbe Israels einzutreten. Um dieses für die Entstehung der künftigen Kirche grundlegende Problem zu lösen, trat in Jerusalem das so genannte „Apostelkonzil“ zusammen, um über dieses Problem zu befinden, vom dem die tatsächliche Entstehung einer universalen Kirche abhing. Und es wurde beschlossen, den bekehrten Heiden die Beobachtung des mosaischen Gesetzes nicht aufzuerlegen (vgl. Apg 15,6-30). Das heißt, sie waren nicht an die Normen des Judentums gebunden. Die einzige Erfordernis bestand darin, Christus zuzugehören, mit Christus und nach seinem Wort zu leben. Indem sie Christus zugehörten, waren sie so auch Abraham und Gott zughörig und hatten Anteil an allen Verheißungen.

Nach diesem entscheidenden Ereignis trennte sich Paulus von Barnabas, wählte Silas und nahm seine zweite Missionsreise auf (vgl. Apg 15,36-18,22). Nachdem er Syrien und Zilizien durchquert hatte, sah er erneut die Stadt Lystra, wo er Timotheus mitnahm (eine sehr bedeutende Gestalt für die entstehende Kirche, Sohn einer Jüdin und eines Heiden), und er ließ ihn beschneiden, durchquerte Zentral-Anatolien und erreichte die Stadt Troas an der Nordküste der Ägäis. Und hier kam es zu einem neuen wichtigen Ereignis: Im Traum sah er einen Mazedonier auf der anderen Seite des Meeres, das heißt in Europa, der sagte: „Komm herüber und hilf uns!“ Es war das künftige Europa, das um die Hilfe und das Licht des Evangeliums bat. Gedrängt von dieser Vision betrat er Europa. Von dort stach er nach Makedonien in See und betrat so Europa. Er ging in Neapolis von Bord, kam nach Philippi, wo er eine schöne Gemeinde gründete, und ging dann nach Thessalonich, von wo er aufgrund der Schwierigkeiten, die ihm die Juden bereiteten, aufbrechen musste und dann über Beröa Athen erreichte.

In dieser Hauptstadt der antiken griechischen Kultur predigte er zunächst auf der Agorà und dann im Areopag zu den Heiden und den Griechen. Und die Rede im Areopag, die in der Apostelgeschichte wiedergegeben ist, ist ein Modell dafür, wie das Evangelium in die griechische Kultur übersetzt wird; wie den Griechen verständlich gemacht werden kann, dass dieser Gott der Christen, der Juden, nicht ein ihrer Kultur fremder Gott ist, sondern der unbekannte, von ihnen erwartete Gott, die wahre Antwort auf die tiefsten Fragen ihrer Kultur.

Von Athen gelangte er dann nach Korinth, wo er eineinhalb Jahre blieb. Und hier haben wir ein chronologisch sehr gesichertes Ereignis, das am meisten gesicherte seiner ganzen Biographie. Denn während dieses ersten Aufenthalts in Korinth musste er vor dem Gouverneur der Senatorenprovinz von Achaia erscheinen, dem Prokonsul Gallio, da er eines ungesetzlichen Kultes angeklagt worden war.

Über diesen Gallio und seine Zeit in Korinth gibt es eine antike Inschrift, die in Delphi gefunden wurde, wo es heißt, dass er Prokonsul von Korinth zwischen 51 und 53 war. Hier haben wir also ein absolut gesichertes Datum. Der Aufenthalt des Paulus in Korinth fällt in diese Jahre. Somit können wir annehmen, dass er ungefähr im Jahr 50 angekommen und bis 52 geblieben ist. Von Korinth aus begab er sich über Kenchreä, dem östlichen Hafen der Stadt, nach Palästina und erreichte Cäsarea, von wo aus er nach Jerusalem hinaufstieg, um dann nach Antiochia am Orontes zurückzukehren.

Die dritte Missionsreise (vgl. Apg 18,23-21,16) nahm ihren Anfang wie immer in Antiochia, das zum Ursprung der Kirche der Heiden, der Heidenmission geworden war, und es war auch der Ort, an dem der Begriff „Christen“ entstand. Hier wurden, so sagt der hl. Lukas, die Nachfolger Jesu zum ersten Mal „Christen“ genannt.

Von dort begab sich Paulus direkt nach Ephesus, Hauptstadt der Provinz Asien, wo er sich zwei Jahre aufhielt und einen Dienst verrichtete, der fruchtbare Folgen für die Region hatte. Von Ephesus aus schrieb Paulus die Briefe an die Thessalonicher und Korinther. Die Bevölkerung der Stadt wurde jedoch von den ortsansässigen Silberschmieden gegen ihn aufgewiegelt, die ihre Einkünfte aufgrund des Rückgangs des Artemiskultes geringer werden sahen (der ihr in Ephesus geweihte Tempel, das Artemysion, war eines der sieben Wunder der antiken Welt); deshalb musste er nach Norden fliehen. Nachdem er erneut Makedonien durchquert hatte, ging er wieder nach Griechenland, wahrscheinlich nach Korinth, wo er drei Monate blieb und den berühmten Brief an die Römer schrieb.

Von dort aus kehrte er zurück: Er begab sich erneut nach Makedonien. Auf dem Seeweg erreichte er Troas, streifte die Inseln Mytilene, Chios und Samos, um dann nach Milet zu kommen, wo er eine wichtige Rede vor den Ältesten hielt und dabei ein Bild des wahren Hirten der Kirche zeichnete (vgl. Apg 20). Von dort brach er auf und segelte nach Tyrus, von wo aus er nach Cäsarea kam, um erneut nach Jerusalem hinaufzusteigen.

Dort wurde er aufgrund eines Missverständnisses verhaftet: Einige Juden hatten andere griechischstämmige Juden, die von Paulus in den nur den Israeliten vorbehaltenen Tempelbereich eingeführt worden waren, mit Heiden verwechselt. Die dafür vorgesehene Todesstrafe blieb ihm dank des Eingreifens des römischen Tribuns erspart, der beim Tempelbereich Wache stand (vgl. Apg 21,27-36). Dazu kam es, während Antonius Felix kaiserlicher Prokurator von Judäa war.

Nach einer Zeit der Haft (über deren Dauer diskutiert wird) und da Paulus als römischer Bürger an den Kaiser appelliert hatte (der damals Nero war), sandte ihn der nachfolgende Prokurator Porcius Festus unter militärischem Gewahrsam nach Rom.

Die Reise nach Rom streifte die Mittelmeerinseln Kreta und Malta und dann die Städte Syrakus, Reggio Calabria und Pozzuoli. Die Christen Roms gingen ihm auf der Via Appia bis nach Forum appium entgegen (rund 70 Kilometer südlich der Hauptstadt), und weitere bis nach Tre Taverne (rund 40 Kilometer).

In Rom begegnete er den Abgesandten der jüdischen Gemeinde, denen er anvertraute, dass er „um der Hoffnung Israels willen“ seine Fesseln trage (vgl. Apg 28,20). Die Erzählung des Lukas endet mit der Erwähnung der beiden in Rom unter lindem militärischen Gewahrsam verbrachten Jahre, ohne weder eine Verurteilung durch den Kaiser (Nero) noch den Tod des Angeklagten zu erwähnen. Spätere Überlieferungen sprechen von seiner Befreiung, die sowohl eine Missionsreise nach Spanien als auch einen späteren Abstecher nach Osten begünstigt hätte, genauer nach Kreta, Ephesus und Nikopolis in Epirus. Immer auf hypothetischer Grundlage vermutet man eine erneute Verhaftung und eine zweite Gefangenschaft in Rom (von wo aus er die drei so genannten „Pastoralbriefe“ geschrieben hätte: die beiden Briefe an Timotheus und jenen an Titus), verbunden mit einem zweiten Prozess, der einen für ihn schlechten Ausgang genommen hätte. Dennoch veranlasst eine Reihe von Gründen viele Paulusforscher dazu, die Biographie des Apostels mit der Erzählung des hl. Lukas in der Apostelgeschichte enden zu lassen.

Auf sein Martyrium werden wir später in der Reihe dieser unserer Katechesen zurückkommen. In dieser kurzen Aufzählung der Reisen des Paulus ist es für jetzt ausreichend festzuhalten, dass er sich der Verkündigung des Evangeliums gewidmet hat, ohne Kräfte zu sparen, und dabei eine Reihe von schweren Prüfungen entgegengetreten ist, deren Verzeichnis er uns im zweiten Brief an die Korinther hinterlassen hat (vgl. 11,21-28). Andererseits ist er es, der schreibt: „Alles aber tue ich um des Evangeliums willen“ (1 Kor 9,23), und er übte mit absoluter Großherzigkeit das aus, was er „Sorge für alle Gemeinden“ nennt (2 Kor 11,28).

Wir sehen einen Einsatz, der sich nur durch eine wahrhaft vom Licht des Evangeliums faszinierte, in Christus verliebte Seele erklärt; eine Seele, die von einer tiefen Überzeugung getragen ist: Es ist notwendig, der Welt das Licht Christi zu bringen, allen das Evangelium zu verkünden. Dies, so scheint mir, ist das, was von diesem kurzen Überblick über die Reisen des heiligen Paulus bleibt: seine Leidenschaft für das Evangelium zu sehen und so die Größe, die Schönheit, ja, mehr noch: die tiefe Notwendigkeit des Evangeliums für uns alle zu erahnen.

Bitten wir, dass der Herr, der Paulus sein Licht hat sehen und sein Wort hat hören lassen, um sein Herz zutiefst zu berühren, auch uns sein Licht sehen lasse, damit auch unser Herz von seinem Wort berührt werde und so auch wir der Welt von heute, die danach dürstet, das Licht des Evangeliums und die Wahrheit Christi bringen können.

[deutsche Zusammenfassung:]

Liebe Brüder und Schwestern!

Heute wollen wir die Reihe unserer Mittwochskatechesen über den Apostel Paulus fortsetzen und uns hierbei zunächst einige wichtige Etappen seines Lebens anschauen. Biographische Eckdaten wie sein Geburtsjahr und das erreichte Lebensalter sind uns nicht genau bekannt. Paulus selbst bezeichnet sich im Brief an Philemon als einen alten Mann (vgl. Phlm 9), was nach damaliger Vorstellung ein Alter von etwa 60 Jahren besagt. Wenn dieser Brief, wie es die Überlieferung will, in der Gefangenschaft kurz vor seinem Tod um 67 n. Chr. geschrieben worden ist, dann wäre Paulus etwa im Jahre 8 geboren. Dieser Berechnung folgt die Kirche, wenn sie heuer das Paulusjahr begeht.

Paulus hieß eigentlich Saulus und wurde in Tarsus in der heutigen Türkei in eine jüdische Familie hineingeboren. Er sprach auch griechisch und besaß das römische Bürgerrecht. Vom Vater hatte er vielleicht den Beruf eines Zeltmachers erlernt. Daneben erhielt er eine strenge religiöse Erziehung, die er in Jerusalem bei dem berühmten Rabbi Gamaliël noch vertiefte. Als eifrigem Juden war ihm der neue Weg der Christen ein großes Ärgernis, den er hart verfolgte. Nachdem er jedoch in einer Vision bei Damaskus Jesus selbst begegnet war, ließ er sich taufen und sein Hass wandelte sich in glühende Christusliebe.

Auf drei Missionsreisen nach Zypern, Kleinasien und Griechenland wurde er zum Apostel der nicht-jüdischen Völker und festigte seine Mission durch zahlreiche Briefe an die von ihm gegründeten Gemeinden. Paulus war mit drei Kulturen – der jüdischen, der griechischen und der römischen – vertraut und daher besonders befähigt, verschiedenen Geisteswelten die Frohbotschaft Christi zu eröffnen. Unermüdlich widmete er sich diesem Auftrag, getreu seiner Maxime: „Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an seiner Verheißung teilzuhaben“ (1 Kor 9, 23).

[Die deutschsprachigen Pilger grüßte der Heilige Vater mit den folgenden Worten:]

Sehr herzlich grüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache, die vielen jungen Menschen und besonders die Ministranten aus der Steiermark. Der heilige Paulus sei uns allen ein Vorbild, mutige Zeugen des Evangeliums in Wort und Tat zu sein. Ich wünsche euch von Herzen eine gute Zeit in Rom.

 

"Von Paulus den Glauben, Christus und schließlich die Straße des rechten Lebens lernen"

Katechese während der Generalaudienz am 2. Juli 2008

"Liebe Brüder und Schwestern!

Ich möchte heute einen neuen Zyklus von Katechesen beginnen, die dem großen heiligen Apostel Paulus gewidmet sind. Ihm ist, wie ihr wisst, dieses Jahr geweiht, das vom Hochfest der Heiligen Petrus und Paulus des 29. Juni 2008 bis zum selben Festtag des Jahres 2009 dauert.

Der Apostel Paulus, eine herausragende und nahezu unnachahmliche, dennoch aber anregende Gestalt, steht als Vorbild der vollkommenen Hingabe an den Herrn und seine Kirche vor uns, und darüber hinaus als Gestalt einer großen Öffnung hin zur Menschheit und ihrer Kulturen. Es ist also richtig, dass wir ihm einen besonderen Platz einräumen, nicht nur in unserer Verehrung, sondern auch in dem Bemühen, das zu verstehen, was er auch uns, den Christen von heute, zu sagen hat.

In dieser unserer ersten Begegnung wollen wir uns damit beschäftigen, die Umwelt zu betrachten, in der er lebte und wirkte. Ein derartiges Thema führt uns scheinbar weit weg von unserer Zeit, da wir uns in die Welt von vor 2000 Jahren einfügen müssen. Und dennoch ist dies nur dem Anschein nach und nur zum Teil so, da wir feststellen können werden, dass der soziokulturelle Kontext von heute sich unter mancherlei Gesichtspunkten nicht sehr von dem damaligen unterscheidet.

Ein erster und grundlegender Faktor, den man sich zu vergegenwärtigen hat, besteht im Verhältnis zwischen der Umwelt, in der Paulus geboren wird und sich entwickelt, und dem globalen Kontext, in den er sich in der Folge einfügt. Er kommt aus einer genau definierten und umschriebenen Kultur, die gewiss eine Minderheitenkultur war, eben jene des Volkes Israels und seiner Tradition. In der Welt der Antike und in bezeichnender Weise innerhalb der Römischen Reiches machten die Juden, wie uns die Gelehrten des Faches lehren, wohl ungefähr 10 Prozent der Gesamtbevölkerung aus; hier in Rom dann war ihr Prozentsatz um die Mitte des 1. Jahrhunderts noch geringer und belief sich auf maximal 3 Prozent der Stadtbewohner.

Wie das auch heute noch der Fall ist, unterschieden sich ihr Glaube und Lebensstil eindeutig vom restlichen Umfeld. Und dies konnte zwei Folgen haben: entweder die Verhöhnung, die zu Intoleranz führen konnte, oder die Bewunderung, die in verschiedenen Formen von Sympathie zum Ausdruck kam, wie im Fall der „Gottesfürchtigen“ oder der „Proselyten“ – Heiden, sie sich der Synagoge anschlossen und den Glauben an den Gott Israels teilten.

Als konkretes Beispiel dieser zweifachen Haltung können wir einerseits das scharfe Urteil eines Redners wie Cicero zitieren, der ihre Religion und sogar die Stadt Jerusalem verachtete (vgl. Flaccus, 66-69), andererseits die Haltung der Frau des Nero, Poppea, deren Flavius Josephus als einer „Sympathisantin“ der Juden gedenkt (vgl. Jüdische Altertümer 20, 195.252; Aus meinem Leben 16), um nicht davon zu sprechen, dass auch Julius Cäsar ihnen offiziell besondere Rechte zuerkannte, die uns von dem schon erwähnten Historiker Flavius Josephus überliefert sind (vgl. ebd. 14,200-216). Sicher ist, dass die Zahl der Juden, wie dies im übrigen heute noch der Fall ist, außerhalb Israels bedeutend größer war, das heißt in der Dispora, als innerhalb des Territoriums, das die anderen „Palästina“ nannten.

Es verwundert also nicht, dass Paulus selbst Gegenstand der zweifachen und gegensätzlichen Bewertung gewesen ist, von der ich gesprochen habe. Eines ist gewiss: Die Sonderheit der jüdischen Kultur und Religion fand ohne Schwierigkeiten einen Platz innerhalb einer alles durchdringenden Institution, wie sie das Römische Reich war. Schwieriger und härter war die Stellung der Gruppe jener, egal ob Juden oder Heiden, die im Glauben der Person Jesus von Nazareth folgen werden, insofern sie sich sowohl vom Judentum als auch vom vorherrschenden Heidentum unterscheiden werden.

Aber wie dem auch sei: Zwei Elemente begünstigten den Einsatz des Paulus. Der erste war die griechische oder besser gesagt hellenistische Kultur, die nach Alexander dem Großen zum gemeinsamen Erbe wenigstens des östlichen Mittelmeerraums und des Mittleren Ostens geworden war, auch wenn sie dabei viele Elemente der Kulturen von traditionell als Barbaren beurteilten Völkern in sich aufnahm. Ein Schriftsteller der damaligen Zeit sagt diesbezüglich, dass Alexander „befahl, dass alle die gesamte Oikoumene (die bewohnte Welt) als ihr Vaterland ansähen… und dass es keinen Unterschied mehr gebe zwischen einem Griechen und einem Barbaren“ (Plutarch, De Alexandri Magni fortuna aut virtute, §§ 6.8). Das zweite Element bestand in der politisch-administrativen Struktur des Römischen Reiches, die von Britannien bis nach Nordägypten Frieden und Stabilität gewährleistete und dabei ein Territorium von bisher nie gesehenen Ausmaßen vereinte. In diesem Raum konnte man sich mit ausreichender Freiheit und Sicherheit bewegen sowie auch ein außerordentliches Straßensystem nutzen und an jedem Ankunftsort kulturelle Grundcharakteristiken vorfinden, die – ohne den örtlichen Werten zum Schaden zu gereichen – ein gemeinsames, vereinigendes Gewebe super partes darstellten, so dass der jüdische Philosoph Philon von Alexandria, ein Zeitgenosse des Paulus, den Kaiser Augustus loben konnte, da er „alle wilden Völker in Einklang gebracht … und sich zum Hüter des Friedens gemacht hat“ (Legatio ad Caium, §§ 146-147).

Die universalistische Sicht, die für die Person des hl. Paulus – wenigstens für den christlichen Paulus nach dem Geschehen auf dem Weg nach Damaskus – typisch ist, verdankt ihren Grundantrieb gewiss dem Glauben an Jesus Christus, insofern die Gestalt des Auferstandenen nunmehr jenseits jeglicher partikularistischen Enge steht; in der Tat: für den Apostel „gibt [es] nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ‚einer’ in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Dennoch muss die historisch-kulturelle Situation seiner Zeit und seiner Umwelt sehr wohl einen Einfluss auf seine Entscheidungen und seinen Einsatz gehabt haben. Jemand hat Paulus als „ Mann dreier Kulturen“ bezeichnet, wobei er seiner jüdischen Herkunft, der griechischen Sprache und seines Vorrechts als „civis Romanus“ Rechnung trug, wie auch sein Name lateinischen Ursprungs bezeugt. Es ist insbesondere die stoische Philosophie in Erinnerung zu rufen, die zur Zeit des Paulus führend war und auch, wenngleich am Rand, einen Einfluss auf das Christentum hatte. Diesbezüglich dürfen einige Namen von stoischen Philosophen wie der der Begründer Zenon und Kleanthes nicht verschwiegen werden, ebenso wenig wie jene, die zeitlich näher an Paulus lagen: Seneca, Musonius und Epiktet. In ihnen finden sich sehr hohe Werte der Menschlichkeit und Weisheit, die natürlich innerhalb des Christentums aufgenommen werden. Wie ein Fachgelehrter ausgezeichnet schreibt: „Die Stoa… verkündete ein neues Ideal, das dem Menschen wohl Pflichten gegenüber seinen Mitmenschen auferlegte, ihn aber gleichzeitig von allen körperlichen und nationalen Banden befreite und aus ihm ein rein geistliches Wesen machte“ (Max Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung. 2 Bde. 4. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1970). Man denke zum Beispiel an die Lehre vom Universum, das als ein einziger großer harmonischer Leib gedacht wird, und folglich an die Lehre von der Gleichheit aller Menschen ohne soziale Unterschiede, an die wenigstens prinzipielle Gleichstellung zwischen Mann und Frau, und dann an das Ideal der Genügsamkeit, des rechten Maßes und der Selbstbeherrschung, um jegliche Ausschweifung zu vermeiden. Wenn Paulus an die Philipper schreibt: „Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist, darauf seid bedacht!“ (Phil 4,8), so tut er nichts anderes, als eine eindeutig humanistische Konzeption aufzunehmen, die jener philosophischen Weisheit eignet.

 

Zur Zeit des hl. Paulus vollzog sich auch eine Krise der traditionellen Religion, wenigstens in ihren mythologischen und auch bürgerlichen Aspekten. Nachdem Lukrez schon ein Jahrhundert zuvor polemisch gesagt hatte, dass „die Religion zu vielen Übeln geführt hat“ (De rerum natura, 1,101), lehrte ein Philosoph wie Seneca, indem er weit über jeden äußerlichen Ritualismus hinausging: „Gott ist dir nahe, er ist mit dir, er ist in dir“ (Briefe an Lucilius, 41,1). Als sich Paulus in entsprechender Weise an eine Zuhörerschaft von stoischen und epikureischen Philosophen wendet, sagt er wörtlich: „Gott, der die Welt erschaffen hat und alles in ihr, er, der Herr über Himmel und Erde, wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind… Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17, 24.28). Damit lässt er gewiss den jüdischen Glauben an einen Gott anklingen, der nicht in anthropomorphen Begriffen dargestellt werden kann, aber er versetzte sich auch auf eine religiöse Wellenlänge, die seine Zuhörer wohl kannten. Darüber hinaus müssen wir in Betracht ziehen, dass viele heidnische Kulte von den offiziellen Tempeln der Stadt absahen und an privaten Orten vollzogen wurden, die die Initiation der Adepten begünstigten. Es bildete somit keinen Anlass zu Verwunderung, dass auch die christlichen Versammlungen (die ekklesíai), wie dies vor allem die Paulusbriefe bezeugen, in Privathäusern stattfanden. Wir müssen darüber hinaus der Tatsache Rechnung tragen, dass viele heidnische Kulte von den offiziellen Tempeln absahen. Zu jener Zeit gab es im übrigen noch kein öffentliches Gebäude. Somit mussten die christlichen Versammlungen den Zeitgenossen als eine einfache Variante dieser ihrer innersten religiösen Praxis erscheinen. Wie dem auch sei, die Unterschiede zwischen den heidnischen Kulten und dem christlichen Kult sind nicht von geringem Gewicht und betreffen sowohl das Identitätsbewusstsein der Teilnehmer als auch die gemeinsame Teilnahme von Männern und Frauen, die Feier der „Herrenmahles“ und die Lesung der Heiligen Schrift.

Aus diesem schnellen Blick auf das kulturelle Umfeld des ersten Jahrhunderts der christlichen Zeit geht abschließend klar hervor, dass es unmöglich ist, den hl. Paulus angemessen zu verstehen, ohne ihn vor den sowohl jüdischen als auch heidnischen Hintergrund seiner Zeit zu setzen. Auf diese Weise nimmt seine Gestalt an historischer und idealer Dichte zu und offenbart in einem gemeinsame Teilhabe und Originalität angesichts des Umfeldes. Dies aber gilt ähnlich auch für das Christentum im Allgemeinen, dessen erstrangiges Paradigma eben der hl. Paulus ist, von dem wir alle noch immer sehr viel zu lernen haben. Dies ist der Zweck des Paulusjahres: vom hl. Paulus lernen, den Gauben lernen, Christus lernen, schließlich: die Straße des rechten Lebens lernen.

[
Für die deutsche Zusammenfassung der Katechese bediente sich der Heilige Vater des folgenden Manuskriptes:]

Liebe Brüder und Schwestern!

Heute beginnen wir einen neuen Zyklus von Katechesen über den hl. Apostel Paulus. Wie ihr wisst, haben wir vor wenigen Tagen mit dem Hochfest der heiligen Petrus und Paulus das Paulusjahr eröffnet, das dem Völkerapostel gewidmet ist und bis zum 29. Juni 2009 dauert. In dieser Zeit wollen wir Paulus nicht nur als eine herausragende und geradezu einzigartige Heiligengestalt verehren, sondern uns auch um ein tieferes Verständnis seiner Lehre bemühen. Mit diesem Ziel werfen wir heute einen Blick auf sein religiöses und kulturelles Umfeld. Paulus wird treffend als „ein Mann dreier Kulturen" bezeichnet: der jüdischen aufgrund seiner Religion, der griechisch-hellenistischen im Hinblick auf die Sprache und das philosophische Gedankengut und schließlich der römischen als Bürger des Römischen Reiches mit den dazugehörigen Rechten. Diese Faktoren hatten einen nicht unbedeutenden Einfluss auf das Denken und Wirken des hl. Paulus, auch nach der radikalen Wende, die sein Leben durch die Begegnung mit Christus erfahren hat. Als Angehöriger einer kleinen Minderheit wurde er sowohl mit Geringschätzung als auch mit neugierigem Interesse bedacht. Zugleich eröffneten ihm die verbreitete hellenistische Kultur sowie die gute Infrastruktur des Römerreiches den Zugang zu den Menschen im gesamten Mittelmeerraum. Auch die authentischen Ideale verschiedener philosophischer Strömungen und die Krise der heidnischen Kulte hatten gewissermaßen den Boden für die christliche Mission bereitet.

[Die deutschsprachigen Pilger grüßte der Heilige Vater mit den folgenden Worten:]


Einen frohen Gruß richte ich an alle Pilger und Besucher aus dem deutschen Sprachraum. Besonders begrüße ich heute den Dresdner Kapellknabenchor, die Studentenverbindungen aus Wien sowie die vielen Jugendlichen. Der Apostel Paulus ist ein leuchtendes Beispiel der Liebe zu Christus und seiner Kirche. Das Paulusjahr sporne uns an, ihn darin nachzuahmen und unseren Mitmenschen das Evangelium zu verkünden. Dabei begleite euch der Segen des Allmächtigen Gottes!

[ZENIT-Übersetzung des italienischen Originals; © Copyright 2008 – Libreria Editrice Vaticana]

 

 





hoch
zurück
zurück zu Fastenzeit im PaulusjahrHomebearbeitenE-Mailvor zu BXVI. Katechesen II